Eine Out-of-body-experience

KAT FRANKIE besinnt sich auf die Essenz von dem zurück, was uns eigentlich ausmacht: unser Körper, unsere Stimme, unser Herz. Das 7-köpfige Ensemble B O D I E S hat sie ins Leben gerufen, um dieser Essenz Ausdruck zu verleihen. Ohne jegliche Verstärkung durch Instrumente oder flackernde Lichter ermöglicht sie im Theater Gütersloh eine ganz andere Emotionalität, die das Frau-sein empowert und das Grundgerüst der Menschlichkeit aufstellt. Die acht Frauen erklimmen die große Bühne, haben sich für jeden Song eine andere Performance überlegt, die den ganzen Abend ineinander verschmelzen lässt. Gefühle in ihrer reinsten Form, Tränen in den Augenwinkeln und der eigene Körper, der im gemütlichen Theatersessel Song für Song schwerer wird und unter den vibrierenden Stimmen verschwimmt – KAT FRANKIE bezaubert mit einer Out-of-Body-Experience, die das Konzept Konzert auf ein ganz anderes Niveau hebt.

Kat Frankie, 3.v.l., Ana-Lucia Rupp, Barbara Greshake, E.Emerson, Fama M’Boup, Liza Wolowicz, Tara Nome Doyle, Trinidad Doherty. Foto: Cathleen Wolf

Das Gütersloher Theater ist auch von außen hell erleuchtet, behauptet sich gegen den rasant dunkler werdenden Nachthimmel. Riesige Decken, überall erstrahlt weiß, kleine Farbtupfer durch aufgehängte Plakate. Kat Frankie und Ensemble sind auch abgebildet, das heutige Konzert ein Teil der „Vier Jahreszeiten“ Reihe, die Kunst präsentiert, „die in keine Schublade passt“. Es fühlt sich an wie eine andere Welt, die hier betreten werden darf. Die murmelnden, gedämpften Stimmen versprechen Vorfreude. Mit Rucksack und Jacke wird der Alltagsballast an der Garderobe gelassen, zum Vorschein kommen vornehme Hemden und glitzernde Blusen. Die weitläufigen Treppen hoch geht es zum Saal, den langen Gang runter zu unseren Plätzen im Parkett unten links.

Der Saal hat sich mit seinen roten Sesseln ordentlich herausgeputzt, auf der großen Bühne hat es sich eine weiße Empore gemütlich gemacht. Das Gemurmel ist ein anderes als vor einem Konzert im Stehen. Es ist mein erstes Konzert im Sitzen, das bewusst auch so konzipiert ist. Eine ganz andere Erfahrung, ein ganz anderes Spüren. Die Stehkonzerte haben so viel Umfeld und Umwelt, die im Theater Gütersloh gänzlich verschwindet. Niemand rempelt mit Bierbechern, niemand will sich vordrängen, das ständige Ausschau halten nach Menschen, die man kennt oder kennen will findet hier nicht statt. Stattdessen ganz viel bei sich sein, die kleinste Bewegung scheint schon unhöflich. Gebunden an den weichen Theatersessel bleibt der Körper bewegungslos. Augen und Herz ganz fokussiert nach vorne zur großen Bühne.

Das Licht erlischt, aus den Schatten erscheinen nach und nach die Silhouetten von acht Frauen vor weißem Hintergrund. Eine Stimme nach der anderen erklingt, wie ein langgezogenes Warmsingen. Ein zueinanderfinden, miteinanderverpflechten und zusammen immer stärker werden. Lange habe ich kein so ausführliches Intro gehört, das aus der Stille heraus abholt und auf den Abend vorbereitet. Welche von den Stimmen zu Kat Frankie gehört, lässt sich nicht ausmachen. Auf der Bühne steht sie mit dem Ensemble B O D I E S, ein Projekt, das Frankie vor gut mehr als fünf Jahren ins Leben gerufen hat und stets weiterentwickelt. Enstanden sind daraus Lieder, die für acht Stimmen komponiert sind, aber auch bereits veröffentlichte Kompositionen, die Frankie um sieben Stimmen erweitert hat.

B O D I E S ist das Resultat aus den verschiedensten musikalischen Formationen, in denen Frankie seit 2002 auftritt. Die Vocalparts gewannen immer mehr an Einfluss, bis der Wunsch nach einer reinen a cappella Konzeptshow erwuchs. Frankie beweist, wie gut das funktioniert und wie vielseitig das ist, was allein Stimmen fabrizieren können. Stimmen, die mit Schnipsen, Stampfen und Klatschen untermalt werden. Für den Bass verstärken B O D I E S ein Mikrofon mit einem Octaver, der die Luft zum Vibrieren bringt.

Bereits die Elbphilharmonie und die Berliner Philharmonie durfte Frankie ausverkaufen, so auch die Show in Gütersloh. In den spärlichen Ansagen zwischen den Songs erkundigt sich Frankie, wer aus Gütersloh kommt und wer von weiter weg angereist sind – bei letzterem erheben sich deutlich mehr Hände. Mit einem verschmitzten Lächeln lädt sie zu Gesprächen später beim Merchandise ein.

Sie nimmt sich zwischen den Songs die Zeit, um Hintergrund für ein paar der gespielten Songs zu schaffen. „Summertime“ beispielsweise, der noch auf keinem Album zu finden ist. Von ihrer Jugend in Sydney erzählt sie, von der knallenden Hitze und davon, dass sie dann immer zu Hause geblieben ist und in den Ventilator gesungen hat. Überwiegend auf Englisch, immer wieder bringt sie deutsche Wörter mit ein und bringt das Publikum mit ihrer Absurdität zum Lachen. Zwischenzeitlich wurde das Bühnenbild umgestellt und die mobile Empore mit Handtüchern belegt. Vor ihr glitzert eine Spiegelfolie wie das Meer, zwei Sängerinnen nehmen links und rechts von Frankie Platz vor drei großen Ventilatoren, durch die sie ihre Stimmen wehen lassen.

Die durchdachten Performances ziehen sich durch das Set. In „Body of Work“ stellt sich Frankie auf die eine, die anderen sieben Frauen auf die andere Bühnenseite. Abwechselnd wird der Scheinwerfer auf die Gruppe oder die Einzelne gerichtet, die sich gegen die Gruppe behauptet werden muss. Besungen wird die Absurdität der Arbeitswelt – mit viel Humor, der auch im Zuschauerraum auf Anerkennung trifft.

Besonders im Herz bleibt mir „Versailles“, der von einem Frauenmarsch am Vorabend der Französischen Revolution erzählt. Stampfend, klatschend, schnipsend und singend laufen die Frauen im Kreis, schenken sich dabei lächelnde Blicke und wirken ganz nach innen gekehrt. Das Zuschauen fühlt sich fast schon zu intim an, aber Frankie lädt mit ihren Zeilen dazu ein, Teil von etwas Großem zu sein. Für mich ist es immer was Besonderes, Frauen auf Bühnen zu erleben – zumal reine Frauenformationen im deutschen Indie leider immer noch eine Seltenheit sind. Es ist eine ganz andere Dynamik, ein ganz anderes Fühlen, eine ganz andere Kraft. Die Stärke liegt hier nicht darin, sich voreinander etwas beweisen zu müssen und sich auf ein Podest stellen zu können. Die Stärke liegt allein in den Stimmen und ihrer Verbundenheit miteinander, die auch noch bestehen bleibt, als Frankie die Formation verlässt und gefolgt von ihrem menschlichen Echo die Empore erklimmt.

Ein Abend, der noch lange nachhallen wird. Stimmen, die sich im Herz eingenistet haben. Zwischen den Songs die schwebenden Gedanken in Applaus verarbeiten, ein schweres Lächeln, Wegwischen der Tränen aus den Augenwinkeln. Das ist Kunst.