Zwischen Hören und Verstehen – Alanas Brasas EP Review

In meinen Playlists befinden sich zum Großteil Lieder auf Englisch und Deutsch. Da ich jemand bin, der hohen Wert auf gute Texte legt, hat sich, was Sprache angeht, lange nichts an meinem musikalischen Horizont getan. Die Verbindung zur Musik geht eben auch über das, was die Künstler*innen wörtlich ausdrücken. Was passiert, wenn der Aspekt der Sprache wegfällt? Kann man die Emotion der Musik auch verstehen, wenn man die Sprache nicht spricht und Übersetzungen der Songtexte online nicht zu finden sind?

Text: Elie Mück

(c) Rokas Krilavičius

Vor einigen Wochen habe ich die EP „PATS KALTAS“ von dem litauischen Künstler Alanas Brasas entdeckt. Mit unter 600 monatlichen Hörern auf Spotify ist er ein noch recht kleiner Künstler. Brasas ist Mitglied der Alternative-Rock Band Katarsis und der Jazzband GALÈRA, außerdem spielt er bei Liveshows unter anderem für Gamka Gitarre. Die Solo-EP des 23-Jährigen hat mich direkt beim ersten Hören mitgenommen. Ich spreche kein Wort Litauisch, aber seine Ausdrucksweiße bewegt mich. Die knapp 17 Minuten seiner fünf Songs haben mich zum Thema dieses Textes gebracht.

Dadurch, dass seine Songtexte online nicht zu finden sind und ich die Sprache nicht verstehe, konnte ich mir die Hintergründe der Lieder nicht ansehen. Die Melodien versetzten mich direkt in einen sonnigen Tag im Herbst. Dass dieses Bild entsteht, ist vielleicht auch dem Cover der EP verschuldet. Brasas sitzt allein auf einer Bank, hinter ihm grünes Geäst. Während er von der Sonne angestrahlt wird, schaut er, mit seinem Kopf auf die rechte Hand gelehnt, geradeaus in die Kamera.

(c) Rokas Krilavičius

„Bernardinų sodas“ eröffnet die EP. Der Titel ist der Name eines Parks in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Ich war noch nie dort, aber kann mir durch die Musik vorstellen, wie es dort aussehen könnte. Direkt kommen mir Fragen in den Kopf: wieso hat Brasas diesen Namen für den Song gewählt? Welche Verbindung besteht zwischen ihm und diesem Ort?

Der nächste Song „Mano danguje“ wurde eine Woche vor der EP zusammen mit einem Musikvideo als Single veröffentlicht.

Was ich hier so spannend finde ist, dass die Bildlichkeit fast das komplette Gegenteil zu meiner Vorstellung ist. Brasas ist allein im Winter, in der dunklen Stadt unterwegs. Textzeilen werden mit kleinen, wackeligen Animationen unterstrichen, so dass man ohne Verständnis der Sprache ein Bild des Textes bekommt, ohne zu detailliert zu werden. Brasas‘ Stimme harmoniert mit der Akustikgitarre und malt durch den monoton klingenden Gesang ein sanftes Bild. Das Lied verkörpert eine gewisse Leichtigkeit, bis gegen Ende plötzlich eine harsche E-Gitarre einsetzt. Man bekommt das Gefühl, dass das schön gezeichnete Bild und das leichte Feeling zerstört wird. Die Aufnahmen des Musikvideos werden ebenfalls verwackelt und die gezeigten Ausschnitte springen schnell von einem Bild zum anderen.

Diese Stimmung wird im darauffolgenden Song beibehalten. „Į savo kūną“ fühlt sich wie eine Gedankenspirale an. Brasas wiederholt sich immer wieder und zieht Wörter in die Länge, als würde er in Begleitung seiner Akustikgitarre dem Hörer etwas klar machen wollen.

„PATS KALTAS“, der Titeltrack der EP schließt an die Gedankenspirale an. Hallende Vocals sind übereinandergelegt, sodass man, auch wenn man die Sprache spricht, nur schwer verstehen kann, was gesungen wird. Der Song ist etwas ruhiger als die letzten Tracks und lässt einen nachdenklich werden.

Als Abschluss: „Tiltas“. Der rein instrumentale Track spiegelt mit dem sich wiederholenden Gitarrenmuster den Beginn der EP wieder. Zwischen verschiedenen verzerrten Geräuschen kann man neben der Gitarre zusätzlich ein Klavier hören. Es fühlt sich fast schon an, als würde man langsam aus einem Traum aufwachen.

Durch die Verbindung des ersten und letzten Songs entsteht das Gefühl, dass Brasas ein wiederkehrendes Muster beschreibt. Ich habe mir erlaubt die Titel der Songs zu übersetzten: „PATS KALTAS“ heißt „eigene Schuld“. Es ist seine eigene Schuld, dass er immer wieder in diesen Teufelskreis der Gefühle gerät. Es ist seine eigene Schuld, dass er in ähnlichen Situationen immer gleich handelt, auch wenn er sieht, dass das nicht der richtige Weg ist.

Alanas Brasas mit gutem Freund und Produzent seiner EP Matas Beržinskas

Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir gern in unserer Komfortzone bleiben. In alltäglichen Situationen, wie auch beim Musik hören, bleiben wir am liebsten in unserer Bubble. Unsere Lieblingsgenres entwickeln sich eher weiter als die Sprache der Texte. Vor etwa zwei Jahren habe ich selbst begonnen vermehrt Musik in Sprachen zu hören, die ich nicht verstehe. Ob Schwedisch, Italienisch, Slowenisch oder jetzt Litauisch. Jede Sprache hat einen eigenen Klang und eine eigene Art Emotionen zu vermitteln.

Die Challenge, eine Review zu dieser EP zu schreiben, habe ich mir selbst gestellt. Jedoch konnte ich mich nicht ganz zurückhalten und wollte etwas mehr erfahren. Meine gute Freundin Greta, welche aus Litauen kommt und ebenfalls Fan von Brasas‘ Musik ist, war mir hier behilflich. Sie konnte mir einige Textzeilen übersetzen und zusammenfassen, worüber der Musiker in zwei seiner Lieder singt. In „Mano danguje“ (in meinem Himmel) vergleicht Brasas eine Person mit der Sonne. Die Sonne ist in seinem Himmel, strahlt in an und ist immer da, selbst bei Nacht. „Į savo kūną“ (zu deinem Körper) bestätigt meine Interpretation. Der Künstler stellt dem Hörer und sich selbst Fragen über den eigenen Körper. Hinzu kommen Selbstzweifel und die Überzeugung nie geliebt werden zu können.

„Wenn du deinen Körper anschaust, bist du glücklich? Du hast dich verändert. Hast du Angst, dass sie deinen Körper nackt sehen werden, was werden sie sagen?“

Brasas‘ Texte sind sehr poetisch geschrieben und lassen Raum zur Interpretation. Ich bin mir sicher, dass ich auch ohne Hintergrundinfos diese EP weiterhin hören würde. Aus meiner Sicht vereinfacht das Verständnis der Sprache nur die Verbindung zur Musik, aber das Fehlen dieses Aspektes hält nicht von der Verbindung ab. Vielleicht erleichtert es sogar mit der Musik zu connecten, da man keine Worte, sondern nur Melodien interpretiert. Das kann dazu führen, dass man in seiner eigenen Interpretation noch freier ist.

Titelbild: Rokas Krilavičius