In einen Koffer passt kein Leben

Apsilon bringt mit seinem Debütalbum „Haut wie Pelz“ die Geschichte seiner Familie und seine eigene Lebensrealität auf die Bühne. Auf seiner Tour nutzt er seine Musik als Plattform und hat dabei viel zu sagen. Ein Konzertbericht, der zwischen Beats, politischen Botschaften und emotionaler Tiefe, die Geschichten der Tracks erzählt.

Bilder vom Konzert in der Live Music Hall in Köln

Entfernte Sirenen, das Publikum in der ausverkauften Halle schreit auf. Auf der Leinwand spielt ein Schwarz-weiß-Film. Das rauschende Geräusch der Geschwindigkeit und verschwommene Lichter, die im Vorbeiziehen erleuchten. Der Stern des alten Mercedes, quietschende Reifen und dann ein ohrenbetäubender Knall. Ein Jugendlicher sitzt am Tisch eines Polizeireviers. Das Verhör beginnt: „Meine Wahrheit? Was wissen sie schon davon?“, ertönt es aus den Lautsprechern.

Ein junger Mann tritt auf die Bühne und singt die ersten Zeilen. Seine Stimme ist ruhig, doch seine Worte haben Ausdruck. Apsilon performt den Intro-Song seines im Oktober erschienenen Albums „Haut wie Pelz“. Ein Album, das vom Zeitpunkt her nicht passender sein könnte. Der 27-jährige Arda, wie er mit bürgerlichen Namen heißt, erzählt die Geschichte seiner Eltern und Großeltern, die in den siebziger Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. Er singt über sein eigenes Verhältnis zu diesem Land, von Identität und Zugehörigkeit, von Selbstliebe und Selbsthass. Bietet gerade auch jungen Menschen einen Platz in Erzählungen zwischen zwei Kulturen

„Wenn Deutschland mich wieder ansieht, und sagt mein Herz hat kein Platz hier, wenn die Wolken übers Land ziehen, mein Nachbar keine Menschen, sondern nur sein Land liebt.“

Zeilen über ein Land, in dem man zwar lebt, aber sich nicht wirklich Willkommen und sicher fühlt. In dem man nicht selten sogar überlegt all seine Sachen zu packen und freiwillig zu gehen. In nur wenigen Sätzen schafft es Apsilon, eine latent aktuelle Debatte zusammenzufassen. Ständige Diskussionen über Migration, Integration und versuchte Schuldzuweisungen.

„Deutschland ja du kannst uns Abschieben, trotzdem sammeln deine Rentner Pfandflaschen und die Straßen bleiben kalt hier…“

Zwischen Rap und melancholischen Melodien hält Apsilon der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor. Wie auch schon in vergangenen Songs wie „Köfte“ rappt er mit Nachdruck trotzige Rhymes auf traplastigen Beat. Songs wie „Brustumfang“ und „Kopf im Nacken“ zeigen die Komplexität seines Werdegangs.

In einen Koffer passt kein ganzes Leben, oder doch?

Apsilon verbindet in seinen Texten prägnante Aussagen mit eindrucksvollen poetischen Bildern, die sowohl Klarheit als auch Interpretationsspielraum bieten. Eines der zentralen Elemente auf dem Album ist der Koffer. Er steht für die Reise seiner Großeltern und alles, was sie aufgegeben haben. Den gleichnamigen Song widmet er seinem Großonkel Bekir G. und erzählt am Ende des Musikvideos eine tragische Geschichte

Erinnerung an Bekir G., der 1998 in seinem Taxi in Berlin von einem Fahrgast erschossen wurde. Ein Soundtrack, der Geschichten erzählt und dem Vergessen entgegenwirkt. Quelle: Koffer Musikvideo (YouTube)

Dass sein Leben nicht in genau diesen Koffer passt, zeigt aber auch, dass er sich dadurch nicht definieren lässt. Apsilon hat mehr im Gepäck als nur die Geschichte seiner Großeltern.

Dies merkt man auch im Verlauf des Konzerts: Eine Reise in die Vergangenheit aber auch die Gegenwart, wechselnd zwischen kraftvollen Rapsongs und ruhigen ausdrucksstarken Liedern. Paula Hartmann erscheint auf der Leinwand, als virtueller Gast des Konzerts singt sie ihren Part auf dem gemeinsamen Song „Grau“.  Zusammen reflektieren die beiden über das Leben in der Großstadt, emotionale Herausforderungen und wie grau und trist es manchmal sein kann. Ebenso auf dem Album vertreten sind Boondawg, Blumengarten und Caney030 als weitere Feature-Gäste, die mit ihren individuellen Stilen und Perspektiven zur musikalischen und thematischen Tiefe des Albums beitragen. Einige der Songs wurden von Haftbefehls renommierten Stammproduzenten Bazzazian produziert, der für seinen markanten Stil in der Deutschrap-Szene bekannt ist.

Zwischen den Liedern des Konzerts erscheinen immer wieder kurze Videosequenzen. Das Schlüsselelement dabei ist der alte Mercedes, der auch aus seinen Musikvideos bekannt ist. Einer achtteiligen Videoreihe, die die Geschichte seiner Familie und sein eigenes Aufwachsen zeigt. Vom Aufbruch in Istanbul auf dem Weg in ein fremdes Land, voller Hoffnungen und dem Glauben, irgendwann in die Heimat zurückzukehren, bis hin zu einer Kindheit in Berlin-Moabit. Regie führte unter anderem sein Bruder Araman, der auch Produzent seiner Songs ist. Mit ihm macht er seit einigen Jahren gemeinsam Musik.

Zusammen stehen sie heute auf der Bühne. Beide tragen dasselbe Outfit in Schwarz. Später, als sie ihre Jacken ausziehen, birgt darunter, der eigene Tourmerch mit neongrüner Aufschrift „Haut wie Pelz“. Den Titel seines Albums erklärt er so: Hass, Ablehnung und Rassismus führen dazu, dass man sich selbst einen Schutzmantel bildet, eine Fassade – eine Haut so dick wie ein Pelz.

Das Geschwisterduo ist erstmals mit dem neuen Album auf Tour und präsentiert dabei alle 14 Songs in voller Länge. Und auch wenn das Album kürzlich erschienen ist, merkt man dem Publikum an, dass sie die Songs nicht zum ersten Mal hören. Textsicher singen sie jede Zeile mit und springen im Takt ins Getümmel des Moshpits, während der Saal schreit: „Meine Leute klatschen Nazis von der Straße, wenn es sein muss“. Politische Statements wie diese gibt es nicht wenige heute Abend.

Wie auch jetzt, als Arda sich an sein Publikum richtet. Auf jedem seiner Auftritte halte er immer eine Rede über Hanau. Dem Ort, an dem am 19. Februar 2020, neun junge Menschen durch rechten Terror ermordet wurden. Für diese Tour hatte er sich vorgenommen etwas anderes zu sagen. Er musste dann aber feststellen, dass sich seither nicht allzu viel verändert hat. Gerade jetzt sei es wichtiger denn je, zusammenzuhalten. „Was bleibt ist unsere Wut und dass das nächste Hanau vielleicht gar nicht so weit weg ist, wenn wir nicht zusammenstehen“, sagt er. Aus dem Publikum ertönen Zwischenrufe – im Batschkapp in Frankfurt das nur etwa 25 Kilometer von Hanau entfernt liegt. „Widerstand überall, Hanau war kein Einzelfall“, ein Publikum, dass den ganzen Abend über immer wieder politische Haltung zeigt – so wie Apsilon auch. Schon öfter ist er in der Vergangenheit bei Demos oder Benefizkonzerten aufgetreten. Deutschrap kann eben auch politisch sein.

Er erzählt seinem Publikum von einem Gefühl, das er vor allem in den letzten Tagen wieder stark verspürt. Man geht durch den Alltag, während viel Schlechtes passiert und man am liebsten alles ausblenden möchte. Manchmal sei es einfacher, mit einer anderen Person zusammen alles auszuhalten. Die ersten Töne von „Lost in Berlin“ beginnen zu spielen. Darauf thematisiert er die Ambivalenz seiner Beziehung zu Berlin und das Aufwachsen in dieser Stadt als Teil der migrantischen Community. Und auch auf dem Track „so leicht“ besingt er den Wunsch nach etwas Leichtigkeit in einer komplexen, oft belastenden Welt. Etwas mehr Leichtigkeit wünscht er sich auch, wenn es darum, geht Gefühle zu zeigen.

Dann endlich der Song, von dem ihn wohl auch die meisten kennen und der ihm bereits letztes Jahr auch abseits der Deutschrap Bubble Aufmerksamkeit brachte.  In „Baba“, einem Song für seinen Vater, plädiert er dafür, Schwäche zuzulassen und greift damit ein bedeutendes Thema auf: den gesellschaftlichen Druck auf Männer, stets stark wirken zu müssen. „Ich hab‘ das auch Baba, ich kenn‘ das auch ja.“, der Refrain wird von einem Chor aus Kindheitsfreunden getragen, die auf seinem Weg, egal ob zu Böhmermann ins Fernsehen oder beim Tourabschluss in Berlin, begleiten. In einer emotionalen Version mit Saxofon wird der Song zum absoluten Highlight des Abends.

Text aus Frankfurt von Nomi Wiesner, Bilder aus Köln von Elie Mück