Jamming-Sessions, die „Jure Maček-Kurve“ und neue Musik – Ein Joker Out Interview

„Was würde ich in dieser schwarzen Nacht ohne dich tun?“ Das fragen sich Joker Out in ihrem (noch) unveröffentlichten Song Šta bih ja. Ich durfte das Fünfer-Gespann aus Slowenien Ende März in Köln besuchen und mit Bojan und Kris über den Song und die, zu dem Zeitpunkt fast beendete, See You Soon Tour sprechen.

Joker Out: Bojan Cvjetićanin (Gesang), Jure Maček (Schlagzeug), Jan Peteh (Gitarre), Nace Jordan (Bass), Kris Guštin (Gitarre)

Die Indie-Rock Band konnte durch ihre Teilnahme am Eurovision Song Contest 2023 ein breit gefächertes Publikum in ganz Europa erreichen. Ihr Song Carpe Diem ist mit über 20 Millionen Streams auf Spotify, bis heute ihr erfolgreichster Release. Nach mehreren Konzerten verteilt in Europa und einer Arenashow in ihrer Heimat ging es für Bojan, Kris, Nace, Jan und Jure zu Beginn des Jahres nach London. Der zweimonatige Aufenthalt in London, der nicht nur aus Jenga spielen und Kochen bestand (wie es ihre Instagram Storys schienen ließen), diente als Vorarbeit für einen Studioaufenthalt im April. Davor ging es Anfang März für die Gruppe auf Europatour, mit 22 Konzerten in 14 Länder – darunter fünfmal nach Deutschland. Was hinter den wechselnden Setlisten steckt und wie die Band in Jamming-Sessions zueinander findet, erzählen mir Kris und Bojan.

Elie: Zu Beginn, wie geht es euch? Seid ihr gut nach Köln gekommen?

Bojan: Uns geht es gut. Wir sind heute morgen angekommen und haben bis 13:00 geschlafen, also sind wir gut ausgeruht. Köln ist bis jetzt sehr gut zu uns gewesen. Die Halle ist perfekt, sehr gemütlich und die Mitarbeiter*innen sind mega.

Elie: Die Tour ist fast zu Ende, wie ist bis jetzt euer Eindruck?

Bojan: Um ehrlich zu sein war die Tour bis jetzt fantastisch! Die Zeit verging super schnell. Wir haben so viel mehr Städte gesehen als letztes Mal. Also wenn du mit Touren anfängst, besuchst du normalerweise nur die Hauptstädte und stellst dir vor, dass das die einzigen Orte sind, an denen du spielen kannst. Diese Tour aber besteht zum Großteil aus den zweit- oder dritt-größten Städten der jeweiligen Länder und die Konzerte waren bis jetzt super. Wir sind begeistert, wie viele Leute gekommen sind und wie deren Reaktionen waren. Also wir haben sehr viel Spaß.

Elie: Es ist interessant zu sehen, dass ihr diese Tour sehr verschieden große Shows spielt. Die Halle in Helsinki hat beispielsweiße eine Kapazität von etwa 1.500, wobei in München nur etwa 400 Leute reinpassen. Was bevorzugt ihr? Die größeren Gigs oder die kleineren?

Kris: Es kommt sehr auf die Zuschauer und unsere Laune an. Wir müssen mit guter Laune auf die Bühne gehen. Ich denke nicht, dass die Anzahl der Leute einen Unterschied machen. Auf jeden Fall nicht bei diesen Größen. Eine Arena Show mit 10.000 Menschen ist vergleichsweise sehr unpersönlich und du konzentrierst dich eher auf die Show und das was du machst. Ich bevorzuge da auf jeden Fall die kleineren Gigs, aber ein Konzert vor 500 oder 1.500 Menschen fühlt sich etwa gleich an.

Elie: Ich habe von anderen Künstler*innen gehört, dass sie die größeren Konzerte bevorzugen, da sie so mehr Platz auf der Bühne haben, ist das bei euch ähnlich?

Bojan: Für mich persönlich sind die Konzerte mit einer Größe von 1.500 die, bei denen ich mich am wohlsten fühle. Die Bühne ist groß genug, so dass ich mich frei bewegen kann, ohne Angst zu haben, über etwas zu stolpern und es fühlt sich noch so an, als könnte ich mit jeder Person im Raum interagieren.

Elie: Im Vergleich zur Tour im Herbst, spielt ihr jetzt ein wechselndes Set. Ich habe mir eure Setlisten der letzten Konzerte angeschaut und es scheint, als hättet ihr zwei bis drei Setlisten zwischen denen ihr wechselt. Wer von euch hatte die Idee dazu und wieso wolltet ihr das Set durchwechseln?

Bojan: Ich glaube wir sind gemeinsam darauf gekommen. Wenn du einen Monat lang 22 Shows spielst kann es vorkommen, dass du dich in einer Routine verfängst. Es kann sich anfühlen als würden sich die Dinge einfach wiederholen und die Stimmung der Shows ist, durch die Songs, die du spielst, auf eine gewisse Weise vorbestimmt. Deshalb haben wir beschlossen das ganze auseinander zu nehmen und es etwas spaßiger zu gestalten. Es ist sehr cool, da wir drei Setlisten haben und ich bei keiner Ahnung habe, welches Lied als nächstes kommt. Das ist gut für mich, weil es immer ein bisschen eine Überraschung ist. Es macht das Ganze aufregender. Den Fans gefällt es auch. Es gab einige, die zu mehreren Konzerten gekommen sind und jedes Mal andere Songs gehört haben.

Elie: Wie habt ihr herausgefunden, welche Lieder zusammen funktionieren?

Bojan: Es war ein langer Prozess.

Kris: Wir setzen uns gemeinsam an einen Tisch und versuchen heraus zu finden, was am besten funktioniert. Es kann teilweise mehrere Tage dauern, manchmal klappt es aber auch auf Anhieb. Unser Schlagzeuger Jure hat seine eigene Technik.

Bojan: Wir nennen sie „Die Kurve“

Kris: Die „Jure Maček-Kurve“, die bestimmt wie unsere Konzerte verlaufen sollen, bezogen auf die Stimmung. Wir bestimmen dann zum Beispiel, dass wir mit etwas energetischem-

Bojan: Shh, wir sollten das geheim halten (lacht).

Kris: Also, wenn du alles mit der „Jure Maček-Kurve“ berechnet hast, hast du ein sehr gutes Set.

Elie: Ihr spielt unter anderem drei unveröffentlichte Songs. Waren diese die Songs, welche am weitesten waren, um sie live zu spielen oder hattet ihr noch andere Lieder im Kopf, die ihr auf die Setliste packen wolltet?

Bojan: Wir hatten ein paar mehr Songs, die wir auf der Tour live ausprobieren wollten. Unsere Vorstellung war, dass wir während den Soundchecks und dazwischen Zeit haben, um die Songs in etwas Spielbares zu verwandeln. Jedoch haben wir weniger Zeit als gedacht, weshalb wir uns entschieden haben, es bei diesen drei Liedern zu belassen. Mir gefällt das sehr gut, denn dadurch hat sich herausgestellt, dass einer der Songs definitiv die nächste Single sein wird. Die Fans sind total ausgerastet. Kurz nach dem wir bei dem ersten Konzert in Helsinki von der Bühne gegangen sind, war der Songtext von Šta bih ja schon online. Danach haben wir gesagt bekommen, dass ein TikTok von der Performance über 400.000 Aufrufe hat, was verrückt ist. Die Leute singen sogar schon mit. Es war schön das so zu sehen. Zusätzlich haben wir noch Dinge gefunden, die wir an den Liedern ändern möchten. Ein paar Dinge, die funktionieren und ein paar, die nicht funktionieren.

Elie: Haben sich diese Dinge im Laufe der Tour schon verändert?

Bojan: Noch nicht, wir haben uns entschieden, sie so zu lassen, wie sie sind. Aber wir wissen auf jeden Fall, was wir ändern wollen.

Elie: Ich habe gehört, dass ihr nach der Tour nach Hamburg gehen werdet, um euer nächstes Album aufzunehmen. Was ist euer Plan für die Zeit im Studio?

Kris: Was ich denke, was in Hamburg passieren wird, ist dass wir die ersten paar Tage nehmen werden um Šta bih ja aufzunehmen. Ich denke der Song ist der, dessen Grundgerüst sich am wenigsten verändern wird. Außerdem müssen wir schnell sein, wenn wir ihn, vor dem Album im Herbst, noch als Single veröffentlichen wollen. Danach haben wir die restliche Zeit um an den Dingen zu arbeiten, die in der Zeit in London entstanden sind, wovon das meiste noch nicht ansatzweiße weit genug zum Aufnehmen ist. In dem Studio in Hamburg haben wir auch unseren bekanntesten Song Carpe Diem aufgenommen. Dieser war zu dem Zeitpunkt auch nicht sehr weit, also denke ich, wir müssen uns keine Sorgen machen.

Elie: In London habt ihr in der Form von Jamming-Sessions an neuer Musik gearbeitet. Kamt ihr dabei jemals einen Punkt, an dem ihr etwas wie ein „Creative-Burnout“ hattet? Wenn ja, wie habt ihr es dann wieder zurück in ein kreatives Mindset geschafft?

Bojan: Auf jeden Fall. Ich würde nicht direkt Burnout sagen, eher Frustration. Jamming braucht immer alle fünf und natürlich können fünf verschiedene Köpfe nicht immer auf die gleiche Story hinarbeiten. Manchmal hat es nicht so funktioniert wie alle von uns wollten. Wenn das über einen längeren Zeitraum passiert ist die größte Hilfe für uns unser Produzent. Er findet immer den Auslöser des Problems und sucht mit uns eine Lösung. Ich denke es ist wichtig jemanden als eine Art Filter zu haben. Wir sind alle emotional verbunden mit unserer Musik und er ist es natürlich auch, aber auf eine andere Weise. Unser Produzent ist so zu sagen das sechste Paar Auge und somit ein sehr wichtiger Teil des Schreibprozesses.

Elie: In eurer neusten Single Everybody’s Waiting habt ihr ein Keyboard verwendet, was neu für euch ist. Habt ihr weitere Dinge, die ihr für die neuen Songs ausprobieren möchtet?

Kris: Jan hat in Berlin eine Mandoline gekauft. Ich glaube, die werden wir mit ins Studio nehmen.

Bojan: Ich bin mir sicher, dass wir mehr Synthesizer verwenden möchten. Ein Song, den wir momentan live spielen hatte eigentlich ein Riff, welches mit dem Synthesizer gespielt wurde, aber jetzt mit der Gitarre gespielt wird. Diese Änderung nimmt den ganzen Sinn des Riffs weg. Es gibt viele Dinge, die wir ausprobieren möchten. Ich denke wir werden auch mit Chören oder ähnlichen Vocals arbeiten. Wir möchten für dieses Album so frei wie möglich mit unserer Kreativität sein.

Elie: Wir sind auf jeden Fall gespannt was passieren wird. Ich mag die neuen Songs sehr gern. Für einen Abschluss eine Frage, die ich sehr häufig stelle: Welchen Song oder welches Album sollte eurer Meinung nach jeder in seinem Leben mal gehört haben?

Kris: Ich höre sehr viel alte Musik, also ich kann dir nichts Neues empfehlen. Aber ich würde sagen (They Long To Be) Close To You von Carpenters.

Bojan: Jetzt gerade würde ich definitiv einen Song empfehlen, den ich momentan sehr viel höre. Mein Song ist auch älter, ich nehme Il mio canto libero von Lucio Battisti. Das ganze Album ist sehr gut, wir haben es viel gehört, während Everybody’s Waiting entstanden ist.

Nach unserem Gespräch ist es nicht mehr lang, bis die Band ihre Show beginnt. Mit ihrer unglaublichen Energie verzaubern sie das ganze Publikum. So wie Bojan sagte, die Fans der ersten Reihen sind sehr Textsicher. Sobald Šta bih ja beginnt, singen alle mit. „Was würde ich in dieser schwarzen Nacht ohne dich tun?“ mit diesen Zeilen beginnt und endet der Song. Ein Lied über Sehnsucht und das Vermissen.

Die Setlist führt uns durch jegliche Emotionen und endet mit einem Aufruf an die heutige Generation:

„Wir haben den Mut gesammelt, zu rebellieren, um etwas zu verändern.“, so heißt es in Novi Val, der letzte Song des Abends. Bojan lädt alle ein, einen Teil der „Neuen Welle“ zu werden. Er sagt, er wünsche sich, dass Joker Out Konzerte eine Safe Space für alle sind und bleiben.

Alle, auch die Band, stehen Arm in Arm und schwingen langsam zur Musik. Ein Gefühl von Gemeinschaft begleitet uns als wir die Halle der Kantine verlassen und uns auf den Heimweg begeben. Joker Out zeigen, dass man als Gruppe nicht an einem Musikstil festhalten muss und wie divers das Ergebnis sein kann, wenn man sich kreativ nicht einschränken lässt. Alle fünf scheinen unglaublich viel Spaß an ihrer Arbeit zu haben und ich kann mir nur wünschen, dass dies noch sehr lange so bleibt.

Text und Bilder: Elie Mück