Hoffnungsvolle Sonnenstrahlen

25. Mai, Scheeßel. Ein bewölkter Tag. Hoffungsvoll blinzelt mir die Sonne durch das beschlagene Zugfenster entgegen. Der Weg zum Festivalgelände ist angenehm kurz und binnen fünf Minuten empfängt uns auch schon die typische Festivalkulisse. Selbst der Eingang ist schon liebevoll dekoriert, strahlt etwas Bekanntes aus. Heimat. Das Festivalgelände selbst ist zu dieser Uhrzeit noch recht leer, besonders an den Ständen tummeln sich die Besucher. Der Weg zur Bühne ist in wenigen Minuten zurückgelegt; das Gelände ist einfach überschaubar. Ich habe ein paar der auftretenden Bands genauer unter die Lupe genommen…

Auf der Bühne, Bukow. Mit neuem Album, das den erste-Reihe-Fans schon Begriff ist. Gestern noch Releaseparty gefeiert und heute anschließend das Überprüfen auf Festivaltauglichkeit. Und festivaltauglich ist es auf alle Fälle, auch wenn das Publikum noch nicht genug Elan hat, um mitzugehen. Zaghafte Gefühle bündeln sich in einer Show, die sich sehen lässt. Gefühlvoll präsentieren die vier Musiker ihr Set, bedanken sich glücklich, dass sie hier sein dürfen. Besonders im Kopf bleibt mir das Zusammenspiel. Ehrliche Texte, untermalt von Bass, Gitarre und Schlagzeug. Helle Klänge, abwechselnd mit vollen Riffs. Das ist keine „Hau-drauf-Band“, untereinander verhält man sich auch auf der Bühne liebevoll. Für mich ein gelungenes Willkommen.

Das Konzept des Festivals sieht vor, dass abwechselnd auf der Haupt- und Wohnzimmerbühne diverse Künstler und Bands verschiedener Genres spielen. So hat jeder die Chance, jeden Act zu sehen und hat zwischendurch noch genug Zeit, um an den verschiedenen Ständen Halt zu machen. Für das kühle und leicht verregnete Wetter wurde ein Bierzelt aufgebaut. Das gesamte Festival ist durch kleine Dekorationen verziert, die das Geschehen heimisch wirken lassen.

Der nächste Act nennt sich Ragna Lemontree, eine junge Bremerin, die mir schon des Öfteren über den Weg gelaufen ist. Mit einer Blumenkrone auf dem Kopf und ihrer Gitarre im Arm passt sie perfekt in die gemütliche Atmosphäre der Wohnzimmerbühne. Sowohl alte als auch neue Songs präsentiert sie der Festivalcrowd, die erst zögerlich, und dann immer selbstbewusster mit einstimmt. Besonders ihre Freunde, die zahlreich auf den Teppichen und Sesseln vor der Bühne versammelt sind, supporten sie. Verträumte Melodien werden über den Platz bis zum nächsten Act getragen.

Der sich als Fibel aus Mannheim entpuppt, mit einer Musik, die sie als Post-Wave beschreiben. Passend zum dunklen Wetter hängt die vermittelte Stimmung sich wie eine Wolke aus Melancholie über das Festival, wird immer wieder durchblitzt durch energiegeladene Ekstase. Dem Publikum scheint das zu gefallen, so entstehen kurz nach den ersten Songs erste Moshpits, aber auch außerhalb tanzen und singen Besucher gemeinsam mit der Band. Die Aufforderung zum Tanzen, „Obwohl das Lied Tristesse heißt“, aus dem Mund von Sänger Jonas Pentzek. Dem das Publikum sofort nachkommt. Und schließlich tanzt Jonas zu den Instrumentals wie unter Strom auf der Bühne herum, seine Bandkollegen an Bass und Gitarre machen es ihm gleich und liefern ab. Auch Synthesizer werden durch Jonas in das Klangkonzept eingewebt und verleihen der Musik Flügel. Hier kann man sich verlieren, immer weiter tanzen und am Ende nicht mehr wissen, wer man ist. Fibel machen es leicht.

Letzte Sonnenstrahlen werden genossen, das Gelände füllt sich allmählich immer mehr. Auch bei Provinz auf der Wohnzimmerbühne ist schon jede Menge los. Die Ravensburger bringen eine Setlist von 30 Minuten mit, gefüllt mit acht Songs. Obwohl die meisten davon unbekannt sind – Provinz haben am 03. Mai ihre erste EP released – finden sie Anklang und binnen kurzer Zeit lauscht ein großes, lächelndes Publikum den Musikern. Sie nehmen mit auf eine Reise durch ihr Leben in der Provinz. Die gefühlvolle Stimme von Sänger und Gitarrist Vincent spricht direkt aus dem Herzen. „Wir haben noch so viel mit euch vor, aber so wenig Zeit.“ Die Mischung aus Pop und Folk hat ihr ganz eigenes Charme, genauso wie die harmonische Mehrstimmigkeit, die für Gänsehaut sorgt. Bei „Reicht dir das“ aus der gleichnamigen EP steigt das Publikum ergriffen in diese ein, viele Münder tragen die den verspielten Zeitgeist treffenden Songs aus der Provinz in die Herzen der Anwesenden. Die alle erstaunlich textsicher sind und sich inzwischen aufmerksam um die Band gescharrt haben.

Die Sonne ist schon untergegangen, als Blackout Problems loslegen. Sänger und Gitarrist Mario Radetzky zögert nicht lange und springt von der Bühne in die Crowd, überwindet die Distanz zwischen Band und Publikum mit Leichtigkeit. Seine Gitarre im Arm haltend laufe ich ihm hinterher. Sehe zu, wie er eins mit der Menge wird. Der Platz wird immer voller, immer mehr Menschen tummeln sich, um der Band zuzusehen. Besonders in der Mitte ist viel los – die Mario des öfteren heimsucht. Energische Moshpits, passend zu energischen Songs. Gewohnt starke Ansagen, diesmal zur Europawahl. Mario erzählt, dass die Band morgen extra früh wegen der Wahl zurück nach München fährt und ruft dazu auf, richtig zu wählen. Die Ansage wird abgelöst vom nächsten Song. Immer weiter, immer wieder einen oben drauf. „Seid ihr frei im Kopf? Seid ihr frei im Herzen?“. Die familiäre Atmosphäre des Festivals wird trotz energiegeladener Performance nicht verloren. Bassist und Sänger Marcus Schwarzbach macht sich einen Spaß daraus, immer wieder die Bühne zu überqueren und seine Gliedmaßen wild durch die Gegend zu schleudern. „Wir lieben die großen Bühnen!“ Von Gitarrist und Sänger Moritz Hammrich sieht man nach den ersten Songs nur noch im Gesicht herumhängende Haare, verloren in der Performance. Zu viele Sinneseindrücke prasseln auf mich ein. Die noch nicht veröffentlichte Single „Sorry“ erklingt, meine Augen schließen sich und mein Bauch kribbelt. Der bis jetzt immer Bauchschmerzen vor dem Song hatte, gespannt, in welche Richtung es die Blackout Problems dieses Mal verschlägt. Komplett anders als noch das Debüt „Holy“, weniger rockig, dafür mehr elektronisch und verziert mit leisen Melodien. Als dann im Refrain trotzdem Michael Dreilich an den Drums alles gibt und der Song nicht leise bleibt, atme ich erleichtert auf. Damit kann ich leben und bin gespannt, wohin das nächste Album führt. Zum nächsten Song entsteht wieder ein Moshpit und ich lasse mich glücklich in seine Wogen fallen. Die nächsten Minuten wird wie in Ekstase getanzt, lauthals mitgesungen oder einfach nur still zugehört. Mario begibt sich zu „Limit“ wieder in die Menge, die sich andächtig hinsetzt und den Zeilen lauscht. Die Kälte wird durch eine selige Stimmung ersetzt. Wenig später bedankt sich Mario, dass sie auch ruhige Songs spielen dürfen, ohne dass sie einen Publikumsverlust einbüßen müssen.

Insgesamt ein gemütliches, liebevoll dekoriertes Festival mit gutem Auge auf die Bandauswahl. Besonders die Wohnzimmerbühne hat es mir angetan, mit der von der Zeltdecke baumelnden Lampe, dem Wohnwagen und den Teppichen. Lediglich der Name des Festivals schreckt mich ein ganz kleines Stückchen ab…