Inszenierung zwischen Gottkomplex und Selbstschutz

Berq erschafft gewaltige Klangwelten, jagt Gänsehaut und fängt atemlose Augenblicke voller Gefühl ein. Den Lokschuppen in Bielefeld bespielt er im Rahmen seiner Zusatztour, die genauso schnell ausverkauft war wie seine erste Tour überhaupt ein paar Monate zuvor. Bruno Kawelke eröffnet den Abend; die Vielschichtigkeit der Klänge Berqs illustriert er in seinen Zeilen und schmückt seine Erinnerungen kunstvoll aus.
Text & Bilder: Mihanta Fiedrich

Die Zeilen von Berq begegnen mir beim Händewaschen, durch den gesamten Lokschuppen schallt seine Stimme. Ungewöhnlich, dass in der Playlist vor Konzertbeginn bereits der auftretende Künstler gefeatured wird. Regt das Bauchkribbeln der Vorfreude an. Die Melancholie aus „paris syndrom“ von Blumengarten und Paula Hartmann’s „sag was“ versüßen die Wartezeit. Etwas Andächtiges liegt in der Luft, die roten Strahler an den Wänden verleihen dem Saal etwas Theatralisches. Auch schon allein die Backsteinwände und die hohen Torbögen.

Schon Minuten vor Konzertbeginn wartet Nebel auf der Bühne, hüllt sie in etwas Geheimnisvolles und streckt seine Finger gen Backstage. Sam Moran kommt dem Ruf des Nebels nach, Produzent und Gitarrist von Bruno Kawelke, welcher nach einleitenden Takten erst einmal seine Stimme vorschickt. Moran bedient mit seinen Füßen die gewaltigen Klänge, die über der Bühne einbrechen. Der dröhnende Bass zwingt Bruno Kawelke in die Knie. Schlägt in die Brandung ein, das Motiv der Welle zieht sich durch das Set. Verbindet organische Songs miteinander, die zusammen am besten funktionieren. Die in ihren Textschnipsel-Titeln nur einen Bruchteil des Inhalts verraten. Lieder wie kleine Geheimnisse. Geheimnisse, die sich erst nach mehrfachem Hören langsam enthüllen. Schaumkronen glitzern und der Geruch vom Meer trägt die Gedanken in die Vergangenheit. Bruno Kawelke zeichnet poetisch seine Erinnerungen nach, findet Wörter, wo die Bilder drohen zu verblassen. Der Rap ist hart und umso verletzlicher werden die Zeilen im Gesang davongetragen.

Will jede Welle fotografieren / Denn diese Welle wird niemals jemand wiedersehen“

Über die Musik wolle er die Zeit besiegen. Sie helfe ihm dabei, zurückzureisen. In eine Zeit, zu einer Person. Zeichnet seine Erinnerungen nach, erlaubt uns, Teil davon zu sein. Nicht dabei zu sein, aber einen Funken dieses Gefühls zu erhaschen. Es sind schöne Erinnerungen mit bitterem Beigeschmack. Eine lebendige, wenn auch unvernünftige Jugend jenseits der erdrückenden Stadt. Eine Flucht vor den Augen der Erwachsenen und schließlich doch im Kampf mit der Zeit ihren Blicken erlegen. Erwachsen geworden.

„Drei Freunde auf drei Freunden auf dem Schoß / Und die Hoffnung dass der Fahrtwind den Rauch aus den Klamotten / Und den Rausch aus den Köpfen holt / Aus den Fenstern quillt der Alkohol“

Die Vergangenheit hinterlässt ihre Spuren und Bruno Kawelke entscheidet sich dafür, sie nicht zu ignorieren. Sieht in den Macken der Fensterrahmen die Spuren längst heruntergefallener Kiesel, wo andere sich über die Mängel nur ärgern würden. „Man sieht ein kleines Detail und auf einmal geht eine ganze Welt auf“. Texte so vielschichtig, dass sie live gar nicht so schnell gegriffen werden können. Setzen der Schnelllebigkeit neuer und neuerer Singles entgegen, müssen noch einmal und noch einmal gehört werden. Umso greifbarer die Schwere, die seine Worte nach unten zieht. Gen Meeresgrund.

„Der Traum vom Haus zum Lebensstauraum verschraubt / Der Fleck vom ersten ungestümen Kuss verkippten Weinglas / Weicht überweißt einer neuen Heimat“

Es sind nicht nur schöne Erinnerungen mit bitterem Beigeschmack. Eher Sorte bitter-süß. Erinnerungen von Schmerz und Liebe, geprägt von der Naivität, das eine mit dem anderen verwechseln zu können. Nicht genug von beidem zu bekommen, um sich lebendig zu fühlen. Alles ertragen, weil man noch nicht damit umzugehen weiß. In „Aprikosen“ wird Bruno Kawelkes harter Rap weicher, aber bricht nie ab. Das Klavier nimmt sich mehr Platz und gesteht sich seine Verspieltheit ein. Im Lokschuppen werden Taschenlampen und Hände gezückt. Der Raum wird warm und weich. Erstrahlt im funkelnden Lichtermeer und während sich Wellen durch das Publikum wiegen bleibt Bruno Kawelke andächtig stehen. Nutzt seine Hände, um die Gefühle in seiner Stimme zu verstärken. Sie wandern durch den Raum vor ihm, über ihn, zum Publikum. Zieht seinen Ärmel runter, als er in „Orcas“ von der Uhr von seinem Vater singt. Was der Uhr ihren plumpen Prunk nimmt und ihr stattdessen ein Gefühl verleiht. Nun zeichnet nur noch die graue Mütze mit weißem Print seine betont lässige Performance, die ihn fast schon von der Verletzlichkeit der Zeilen abschottet. So könnte er mit seinem Auftreten auch ganz andere Geschichten erzählen, solche von Machos, viel Geld und lauten Autos. Die in blaue Wogen gehüllten Erinnerungen trägt er besser. Seine Inspiration an Geschichten wie von Benedict Wells verleiht seinem Auftritt etwas Verletzliches, das die Zeilen trotz ihrer Vielschichtigkeit greifbarer macht.

„Erinnerungen sind Wellen branden an die Küste / Wir stehen im Wasser die Gischt küsst unsere Füße / Wollten nicht ins Meer aber im Meer gewesen sein / Auch der bequemste Strand besteht aus kleinen Steinen / Die Sonne legt all ihre Kleider auf die See / Und ich verstehe Claude Monet“

Cello und Geige werden gestimmt, auf der Bühne Trubel, vor der Bühne Levin Liam aus den Boxen. Bruno Kawelkes Wellen rauschen davon und salziger Nachgeschmack bleibt in der Luft. Berq wird kein so eindeutiges Motiv bespielen. Stattdessen tischt er die lange Tafel mit einer Bandbreite an Gefühlen auf, kehrt auch den letzten Krümel hervor und schreckt nicht vor den Ecken und Kanten zurück. Seine Musik ist wie in weichen Stein gemeißelt, mit einander überbietenden Soundteppichen und fast schon zu lebendigen Bildern. Die feinen Nuancen verzieren kunstvoll das Set, müssen sich gegen die große Klanggewalt aus überlagernden Stimmen und apokalyptischen Streichern behaupten.

Aber erst einmal wird eingeleitet durch eine Sprecherstimme, die darum bittet, einzutauchen, sich wie Zuhause zu fühlen und aufeinander aufzupassen. Die alte, tiefe Stimme passt zu der Inszenierung, hat etwas von Theatereinführung und Entführung in eine andere Realität. In eine Realität, in der jegliche Facette an Gefühl erlaubt ist. Dann. Laute Bässe, unruhige Lichter und ein alles verschluckender Nebel. Die aufgeregten Schreie aus dem Publikum lassen schon erahnen, was passiert, bevor sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt hat. Eine weiße LED Leuchte erhellt das Set und gibt eine Silhouette frei. Mit gesenktem Kopf steht Berq da, Engelslocken nach hinten gelegt, Schultern nach hinten gestreckt. Still. Die Theatralik soll sich durch das gesamte Stück ziehen.

Die Zeilen von „Heimweh“ werden angestimmt und prompt von einem lauten Chor aus dem Zuschauerraum begleitet. Töne sitzen nicht so perfekt wie die auf der Bühne, die stimmliche Gewalt Berqs ist schlichtweg nicht für die breite Masse ausgelegt. Die Masse versucht es dennoch oder hält ehrfürchtig inne, wenn Berqs Kopfstimme engelsgleich mit dem Nebel gen Decke entschwindet. Bewundernswert, dass Berqs an die Klassik anmutende Kompositionen so viel Anklang finden. Die Streicher scheinen so langsam ihren Einzug in den deutschen Indie zu finden, vielleicht geht es den Details in seinem vielspurigen Soundgerüst bald auch so. Wünschenswert wäre es allemal, dass deutscher Indie wieder nuancenvoller wird und aufhört, eine TikTok-Hook nach der nächsten zu jagen.

Anders als Bruno Kawelke erzählt Berq keine detaillierten Erinnerungen sondern viel mehr Gefühle. Das Aufeinandertreffen von Augen, die für ein Blinzeln immer noch ineinander versinken. Das fast unmerkliche Aufatmen und Ansetzen und den Mund doch schluckend wieder verschließen. Schwere, die in nach oben gezwungenen Mundwinkeln versteckt wird. Mehr Trennungsschmerz als Wolke 7, jedes Fragment eines Auseinanderdriftens zwischen Trauer und Wut wird bespielt. Berq packt beherzt all diese Emotionen und wirft sie der Welt vor die Füße. Mit bunten Blumen werden sie in Empfang genommen. Es sind universelle Gefühle, solche, die auch aus dem eigenen Herzen sprechen. Seine Texte haben keinen Besitzanspruch. Kein Ablaufdatum. Laden ein statt aus, wollen das Mitfühlen ermöglichen.

Berq reiht Fragmente aneinander, kleine Beobachtungen, Bruchteile zwischen zwei Herzschlägen. Die ganz kleinen Gefühle auf die es dann doch immer ankommt. Zeilen, die ein aufmerksames Lauschen nach innen voraussetzen und mit einer imposanten musikalischen Vielschichtigkeit nach außen getragen werden.

„Und du hast immer geahnt, dass / Ich dir irgendwann sag, ich / Will uns nicht mehr / Ich war nicht immer ganz fair, du / Hast uns schon immer viel mehr zu / Dem gemacht, was wir war’n“

Die Kunstfigur Berq nimmt den aufbrandenden Jubel in sich auf, andächtig. Steht auf einem Podest, um sich abzuschotten, abzuheben. Vielleicht macht es das Lampenfieber in „Licht geht aus“ leichter. Auf der Bühne scheint nicht der 20-jährige Felix Dautzenberg zu stehen, die inszenierte Figur Berq trägt vollbekleidet die Nacktheit der Gefühle vor. Stets aufrechte Statur, keine Spur der Schwäche. Jedes Wort, jede Bewegung, jeder Ton wirkt penibel einstudiert. Die Figur ein Drahtseilakt zwischen Gottkomplex und Selbstschutz. „Licht geht aus“ blickt hinters Glas, bricht mit dieser perfekten, erhabenen Figur, verarbeitet die Gefühle dahinter. Ein Eingestehen der Menschlichkeit und der Angst vor dem öffentlichen Zusammenbruch.
Zwischen den Songs läuft Felix Dautzenberg über die Bühne. Der junge Musiker, der in „Schleierkraut“ davon singt, dass ein Kind keine Verträge unterschreibt. Der eigentlich nie auf die Bühne wollte, sondern sich mit den Songs aus seiner ersten EP „Rote Flaggen“ für ein Studium der Musikproduktion bewerben wollte. Der zwischen den Songs emotional greifbar, persönlich, nahbar ist. Setzt sich auf die Stufen, sucht den Dialog. Nimmt Bilder in Empfang, schaut sie sich lange an. Er scheint das hier zu schätzen. Erzählt vom Bielefelder Leinweber-Markt und schwärmt von der schönsten Show dort, weil Menschen für ihn den Platz gestürmt haben. Auch wenn die Leier der schönsten Show schon zu oft durchgekaut wurde – das kauf ich ihm ab.

„Ich geh nicht raus / Du schubst mich raus / Es tobt Applaus / Blumenstrauß“

Die Ambivalenz zwischen der Kunstfigur Berq und dem Produzenten Felix Dautzenberg ist spannend. Reiht sich nahtlos ein in die vielen Kontraste des Abends. Der eindrucksvollste ist der von Licht und Schatten – ich erinnere mich an kaum eine Show so dunkel wie diese. Das vom Studio Clemens Loeffelholz erbaute Bühnenbild eröffnet verschiedene Inszenierungen. Auf den ersten Blick wirken die Trennwände klobig; gewinnen ihren Charme, als Berq sich hinter sie stellt und nur mit einem Projektor angestrahlt wird. Er wird Teil seines eigenen Schattenspiels. Die Plissees werfen lange Lichtfinger, die sich nach dem am Piano sitzenden Künstler ausstrecken. „Tourrettes“ gibt er hier zum Besten, einen zerbrechlichen Song über die Beziehung seiner Großeltern. Er nimmt sich die Zeit, über seinen Opa zu reden, der heute ein Jahr älter geworden ist. Bielefeld singt kurzerhand ein Ständchen. Sein Opa konnte nie so recht mit Musik was anfangen – spätestens mit „Tourrettes“ und allemal durch seinen Enkel habe sich das geändert. Worauf Berq zurecht stolz ist.

„Tourrettes“ ist eines der Stücke, das sich neben Trennungen und Liebe seinen Familienbeziehungen widmet. Ein weiteres ist „Träumen“. Nicht nur in der Reflexion seiner Vaterfigur zeichnet er ein diverses Männlichkeitsbild, es findet sich in seinen weichen Posen, den glatten Kleidern und den Emotionen in seiner Stimme. Fern vom toxisch Männlichen schafft er Zugang zur Emotionalität und erlaubt sich, diese auszuleben. Mauern brechen ein, Härte weicht aus Gesichtszügen und Tränen lassen sie zerfließen. Berq schafft nicht nur mit dem Intro, sondern auch in seinen Songs einen Save Space. Durchlebt für knappe 80 Minuten vergangenen und nie geheilten Schmerz, stößt dabei aber im Zuschauerraum an viele Grenzen. Immer wieder muss die Show abgebrochen werden, damit die Helfenden die Fans nach draußen geleiten können. Sie kommen zwischenzeitlich nicht mehr hinterher. Es scheint auch Panik dabei zu sein, Gefühle, die nicht mehr länger ausgehalten werden können. Mit wachen Augen hat Berq das Publikum im Blick und nimmt sich die Zeit für Unterbrechungen, bis Daumen nach oben gereckt werden.

Berq will trotzdem weitermachen. Seiner Inszenierung den Raum geben, solange es allen gut geht. Der Chor aus seinen Stimmen hat etwas Eigenartiges, was Eigenwilliges. Die Vocals tragen durch alle Songs. Heulen, Seufzen, Schreien. Verleihen der Klangwelt ihre Besonderheit. Sorgfältig ausgetüftelt und perfekt geschleift inszeniert Berq sich lieber als Produzent als als Sänger. Er will jemand sein, der seine Songs akribisch zusammensetzt. Live überlässt er die ganze Welt im Klanghintergrund seinen Backing Tracks. Cello, Geige, Klavier, Bass und Gitarre unterstützen auf der Bühne, Percussion und Gesang kommt vom Band. Die Streicher sind ein deutliches Upgrade zu den Festivalshows nur mit Gitarre und Bass – ich bin gespannt darauf, ob das Künstliche im Hintergrund irgendwann ganz dem Organischen weichen wird. Mit dem RTO Ehrenfeld performte Berq bereits „Rote Flaggen“, da ist eine Orchestershow gar nicht mehr so weit entfernt. Immer wieder lässt er Pausen für die Instrumentals. Pausen, die so lang sind, dass die Handydisplays enttäuscht wieder schwarz werden, aber so fühlt es sich eh besser.

Das Licht nimmt sich zurück. Maximal zwei Farben lassen sich miteinander vom Nebel über die Bühne treiben, viel Blau. Die Farbe der Adoleszenz, der Introspektive. Bisschen weiß, weniger lila, ein Tupfer orange. Ganz zum Schluss erst Rot bei „Rote Flaggen“. Nie wandern die Strahler über das Publikum, um über das Publikum gewandert zu sein. Beständig bleibt der Nebel, Nebelschwaden umhüllen seine Füße. Auf dem Podest wird er von oben angestrahlt, vorne an der Bühne scheint ein großer Strahler von unten. Was ihm schon fast etwas Dämonisches verleiht, mit den dunklen Augenringen und den hellen Augenhöhlen. Das gleicht sich wieder aus, als er bei „Blauer Ballon“ auf einer fliederfarbenen Leiter beim FOH Platz nimmt. Die Scheinwerfer werfen flackerndes blaues Licht auf ihn, von vorne ist nur die helle Gestalt auszumachen. Mit geschlossen Augen lebt er den Verlust präventiv vor.

„Du fehlst mir unendlich“. Der Verlust einer Liebesbeziehung ist leicht zu besingen. Das ist kein Tabuthema, Trauer wird gar zur Schau getragen. Aber mit Trennungen durch den Tod wird noch einmal ganz anders umgegangen – Berq schafft es, der Trauer in „Blauer Ballon“ ein tröstendes Gefühl zu verleihen. Dramaturgisch hätte er nicht besser auf diesen emotionalen Höhepunkt vorbereiten können. Der langsame „Vergissmeinnicht“ behandelt melancholisch das Heimweh nach den Armen der Mutter, Berq versteckt sich hinter der weißen Wand. Wird zur Schattenprojektion. Die Wand als gelungene Flucht vor den tausend staunenden Augen, gleichzeitig für die tausend Staunenden die Möglichkeit, die Perspektive nach innen zu kehren. Sich mit den eigenen Gefühlen zu beschäftigen und sie nicht aus der Mimik der Person auf der Bühne herauslesen zu können. Die Projektion bleibt während „Im Wind (Interlude)“ bestehen, die Aufmerksamkeit liegt auf Asita und Emme. Geige und Cello verlieren sich ineinander, spielen sich miteinander hoch. Hoch zu den Gefühlen, durch die der blaue Ballon schwebt.

„Einmal verliebt (Intro)“ bricht mit der Melancholie. Der Bruch ist ein bisschen zu hart. Tränen sind noch nicht ganz getrocknet, als Berq schon von Flammen singt. Zurück sind die Gegensätze. Das ständige Schwanken zwischen Hass und Liebe, der zitternde Finger zwischen Absenden und Blockieren. Die Steigerung der Songs zu „Blauer Ballon“ hat ein Potenzial aufgezeigt, das Berq hätte weiter ausbauen können. Stattdessen springt er von der Hin- und Hergerissenheit in „Echo“ über „Mein Hass tritt dir die Haustür ein“ zum Trennungsschmerz von „Achilles“. Springt von Gefühl zu Gefühl, für jedes Gefühl bleiben nicht einmal fünf Minuten. Für den Hass nimmt er sich ein wenig mehr Zeit. „Habt ihr Hass in euch Bielefeld? Ich dirigiere euren Hass!“ Zweifelsfrei hat er sein Publikum mit seinen bloßen Händen unter Kontrolle.

Nicht nur zu Hass ruft er auf, die Musik verstummt, als er zu Mut appelliert. „Wir müssen vor den Wahlen aus unseren Blasen rauskommen. Sprecht miteinander.“ Er erzählt von einer Situation in der Bahn, in der er sich nicht getraut hat, seine Stimme zu nutzen. Vielleicht schaffen wir das aber zusammen. „Nazis raus“ Rufe mischen sich unter seinen Monolog – „Mit denen müsst ihr nicht reden“ – lauter Applaus. Damit wär das auch abgehakt. Die Show kommt nach den bekanntesten Songs „Achilles“ und „Rote Flaggen“ in der Zugabe zu ihrem Ende. Berq hat sich bis auf „berq (outro)“ durch seine gesamte Diskografie gespielt – Kostproben auf Neues bleiben dem Publikum dafür aber verwehrt. Für den letzten Applaus holt er Bruno Kawelke auf die Bühne. Bedankt sich: „Ich finde, deine Musik ist was ganz Feines“. Verbeugen sich zusammen, eine schöne Geste. „What A Wonderful World“ von Louis Armstrong erklingt durch den lauten Applaus, gefolgt von Tom Odell’s „Another Love“. Schon im Gehen findet die Menschenmenge noch für einen letzten Abschluss wieder zusammen, in der Mitte wird getanzt und sich das Herz aus dem Leib geschrien. Als wäre es nicht gerade erst voller Mühe dorthin zurück gekraxelt.