Warmes Licht und euphorisches Geschrammel

20:30, 30. Oktober 2019. Die Tür der kleinen, verrauchten Bremer Kneipe „Horner Eck“ schwingt immer wieder auf und zu. Ein mit Klebeband montiertes Plakat weist rosafarben auf die Veranstaltung hin, die hier heute stattfindet. Ein kurzer Blick in den Laden, die Tür geht wieder auf und wird von außen zugezogen. Ist schon zu voll. Die Tür geht ein weiteres Mal auf und zu. Dieses Mal bleibt sie zu, kalte Luft drängt sich vorbei an der Bar und dem kleinen Merchstand. Zu den Tischen, wo noch ein paar Zentimeter Platz sind. Mit einem verlegenen Grinsen folgt der letzte Besucher. Aus der warmen Jacke herausgeschält, kurz durchgeschnauft.

Es muss um die 20:45 sein, als sich hinter der Tür zum Backstage etwas tut. Vier junge Männer betreten die Bühne, werden vorgestellt von dem Veranstalter. Ein junger Mann mit roter Mütze und einem Shirt der Band Pabst, mit der Aufschrift „Punch A Nazi“. Sympatisch. Er verkündet, dass die jungen Männer der Band Maffai angehören, die aus Nürnberg angereist sind. Lächelnd begeben sich eben diese an die verschiedenen Instrumente. Stehend auf dem selben Boden wie die in der Kneipe versammelten Leute, ohne die Distanz einer störenden Bühne. Direkt neben Bassist und Sänger Daniel Schmitt ist das Mischpult aufgebaut, das verschmitzt vor sich hin blinkt.

Der erste Song wird angestimmt. „Bleichkind“ soll es sein, der Opener des Debüt-Albums „Zen“. Beginnend mit Bass und Schlagzeug, nach wenigen Sekunden setzten auch Gitarren und Gesang ein. Konzentriert legen sich die verschiedenen Spuren übereinander.

„Was gestern noch geglänzt hat, ist heute bleich.“

In den sich immer wiederholenden Akkordabfolgen kann man sich mit Leichtigkeit verlieren. Mit Leichtigkeit hin und her schwanken. Von einer Seite zur anderen. Von einer Meinung zur nächsten. Und dazwischen die ehrlichen Zeilen, die so leicht aus dem Mund von Sänger und Gitarrist Mike Illig fließen.

Der nächste Song schließt sich direkt an. „Kinnanknie“ nennt er sich. Verschiedene Bilder mischen sich unter die Zeilen. Ich sehe die Wortspiele vor mir. Die ineinander verschwimmen, sich gegenseitig verzehren. Abwechselnd erklingen die Zeilen aus den Mündern von Mike und Daniel. Stacheln sich gegenseitig an, bauen aufeinander auf. Verlieren sich in ihrer Verlorenheit. Es muss weitergehen, doch die Musik bleibt im Raum stehen.

(c) Charles Engelken

Groovig startet „Tunnelblick“. Einer meiner Lieblinge des Debüts. Die Zeilen positionieren und distanzieren gleichzeitig. Wenn es eine Schublade geben muss, dann ist das Indiepunk. Hierzu lässt sich wunderbar tanzen. Vor allem, als die Synthies einsetzten. Mike hat seine Gitarre zur Seite gelegt und bedient stattdessen die Tasten. Die seine Lippen verlassenden Zeilen mehr als im Kontrast zu den unbedachten, schwebenden Klängen.

„Die Kultur von der du sprichst, besteht aus Missgunst und Hass. Du machst einen Hitlergruß, aber nur aus Spaß.“

Als ich meine Augen schließe, bleibt ein bitterer Beigeschmack. Und vier Künstler, die sich in einem Retro-Film um die eigene Achse drehen.

Im Hier und Jetzt überwindet Gitarrist Simon Züchner die Distanz zwischen Publikum und Band. Verlässt den sicheren Schutz durch die die improvisierte Bühne abgrenzenden Boxen, will mehr. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass er seinen Gefühlen nicht ganz freien Lauf lassen kann. Dass er eigentlich viel mehr noch machen würde. Vielleicht schließe ich aber auch nur von meinem Bewegungsdrang auf ihn. Vielleicht hemmen ihn doch die weinigen Zuschauer. Die von Mike von der Bar weggelockt werden, einige kommen seiner Aufforderung nach und stellen sich weiter vor die Bühne. Nur leider direkt vor mich, weshalb ich das Konzert nun mit geschlossenen Augen genieße, um nicht ständig von dem leuchtenden Handybildschirm vor mir abgelenkt zu werden. Verstehe ich nicht, wie man bei so einer Performance seinem Handy ignorant mehr Aufmerksamkeit schenkt. Aber ich freue mich für die Band, dass nun wenigstens mehr Publikum vor der Bühne und nicht nur seitlich an der Bar steht. Der nächste Song kommt zum Ende. Ein älterer Herr gibt der Band eine Runde Shots aus. Die sie zuerst verwirrt, aber dankend annehmen. Vielleicht bilde ich mir die Verwirrung auch nur ein, denn diese wird bald auch schon wieder von lauten Klängen und vielsagenden Texten eingenommen.

„Geisterstunde“ wird angestimmt. Passend zu Halloween, stellt Mike grinsend fest. Die Besucher sind gespannt und hören nun ein Stück aufmerksamer zu. Und ich staune über die Lyrics, die ich in diesen lauten Momenten gar nicht verstehen mag. Aber ihre Weite begreife.

„Alles was uns aufhält, ist alles was uns immer wieder einholt.“

Anders als die Bands, mit denen sie verglichen werden könnten (was ich aber bewusst nicht mache. Ich mag das nicht.) verzichten sie auf eindringliches Geschreie. Legen ihre Ausdrucksstärke in kräftige Ausrufe und gewebte Gesangsmelodien. Maffai liefern keine Antworten. Sie liefern viel mehr aufgegriffene und neu durchdachte Zeilen, die zum Nachdenken anregen sollen und harmlos klingende Wortspiele verpackt werden. Der ausgereifte Klangteppich macht es leicht, sich darin zu verlieren. Oder die Gedanken auszuschalten und unbedacht die Musik zu genießen.

Schlagzeuger Jan Kretschmer zählt den nächsten Song an. Über ihm leuchtet warm eine Lampe, die ein wohliges Wohnzimmergefühl vermittelt. Der Bass dröhnt in den Köpfen umher. Der Nebel, der während der ersten Songs zwischen den Beinen der Musiker umherwaberte, findet seinen Weg nach oben. Setzt sich mit der Basslinie im Kopf fest. Aber nicht mehr so schwer, sondern viel mehr federleicht schwebend. Trotzdem mit dem Wissen, das diese Welt keine gute ist. Dass man die Dinge aber viel leichter nehmen sollte.

Auch wenn die Ansagen anfangs unsicher rüberkommen, taut die Stimmung recht schnell auf. Die junge Frau schräg gegenüber von mir sitzt zwar immer noch, aber inzwischen hat sie ihre Mütze abgesetzt und nickt lächelnd vor sich hin. Die gemeinsame Zeit scheint viel zu schnell vorüberzugehen; es handelt sich auch nur um 11 Songs, zwischendurch unterbrochen durch kleine Gespräche und die nächste Runde Shots. Mit „Prunk“ findet das 45-minütige Set sein Ende.

Doch nicht für die Zuschauer, die direkt mehr verlangen. Die von Simon gespielten Synthesizer hängen noch im Ohr, auf den Lippen das Verlangen nach einer Zugabe. Verlegen gibt Mike zu, dass sie keine Songs mehr haben. „Dann müssten wir einen Song wiederholen“, ist die Konsequenz, die direkt mit einem einstimmigen „JA!“ beantwortet wird. Was mich grinsen lässt. Die anfängliche Zurückhaltung hat sich in Luft aufgelöst, wurde abgelöst durch eine vertraut wirkende, warme Atmosphäre. Der Song „Stadtbilder“ wird angestimmt, den man sich zwar nicht auf dem Album, aber als Demoversion auf YouTube anhören kann. Hier bahnen sich mitreißende Gitarrenklänge ihren Weg durch den Zigarettenrauch, wollen gehört werden und gefallen zusammen mit eingägigen Gesangsmelodien. Nach dem zweiten Live-Geschmack vielleicht doch mein Lieblingstrack.

Beitragsbild: (c) René Illig