Alles eine Frage der Perspektive

„Ich hoffe, dass die richtigen Leute auf meine Geschichte stoßen und inspiriert werden, ihren Träumen zu folgen oder einfach das zu tun, was sie wirklich tun wollen.“

Wer in Deutschland im Netz auf Marcus Alexander stößt, der muss schon ziemliches Glück oder aber einen guten Feed haben. Zum allgemeinen Leidwesen wird er in puncto Ranking im deutschsprachigen Raum eigentlich immer von seinem Fast-Namensvetter überschattet – nein, lieber Algorithmus, es ist nicht Alexander Marcus gemeint! Musikalisch aber liegen Welten zwischen den beiden – und das liegt nicht nur an der Sprache.

Vom Algorithmus geküsst gehöre ich seit knapp zwei Jahren zu den Glücklichen, die Marcus Alexander im YouTube-Dschungel der Singer-Songwriter für sich entdeckt haben. Sein Song „Supernova“ hat mir auf Anhieb gefallen: Für mich der perfekte Mix aus akzentuiertem Gitarrenspiel, leicht rauchiger Stimme und poetischem Text, abgerundet durch gepfiffene Melodieparts. Nachdem ich mir noch weitere seiner Coversongs und vor allem Originale zu Gemüte geführt habe, frage ich mich:

Wer steckt eigentlich hinter diesem Song? Wer ist Marcus Alexander Arvidsson?

1993 in Schweden geboren kommt er bereits als kleines Kind mit Musik in Kontakt: Seine Eltern singen beide leidenschaftlich gern, sein Vater und seine Schwester spielen Klavier. Kein Wunder also, dass auch Marcus schon in jungen Jahren auf dem Klavierhocker sitzt und seine Lieblingslieder aus Film und Fernsehen vor sich hin klimpert. War eine Karriere im Musikbereich sozusagen vorherbestimmt? Seiner Aussage nach nicht. Seinen ersten Song schreibt er im Teenageralter für ein Mädchen – mit dem Ergebnis, dass er in den darauffolgenden zwei Jahren dafür verspottet wird. Vom generellen Spott und Hohn aufgrund seiner musikalischen Interessen einmal abgesehen. Nachvollziehbar, dass er bis zu seinem zweiten Schuljahr am Musikgymnasium keinen einzigen Song mehr schreibt.

Musikgymnasium? Da könnte man doch meinen, dass Marcus trotz all der negativen Rückmeldungen seiner Mitschüler*innen zielstrebig auf eine Musikkarriere hingearbeitet habe. Nicht ganz. Zunächst verfolgte er seine zweite Leidenschaft: Computertechnik. Das auf IT spezialisierte Gymnasium, welches er ein Jahr lang besucht, desillusioniert jedoch nicht nur ihn, sondern auch die meisten seiner Klassenkammerad*innen – die Schule scheint vor allem eines zu vermitteln: Perspektivlosigkeit. Dann der Weckruf: Einer seiner engsten Freunde nimmt sich das Leben. Das veränderte Marcus Sicht auf das Leben:

„Ich entschied, niemals mehr meine Zeit zu verschwenden und einfach das zu machen, was ich machen will. Deshalb brach ich ab und bewarb mich erneut, diesmal an einem Musikgymnasium. Ich habe ein Jahr geopfert, um mit etwas Sinnvollem neu anzufangen, statt etwas fortzuführen, das mir am Ende vielleicht, oder eben vielleicht auch nicht, Geld einbringt. Ich habe nicht wirklich davon geträumt, Musiker zu werden. Ich wollte einfach nur das tun, was mir Spaß machte.“

Und genau das macht er heute. Nach dem Abschluss zieht es Marcus hinaus in die Welt – es geht auf nach Malta, um dort das Leben zu genießen. Das heißt zunächst: Reisen, Abenteuer, Party. Und Musik.

„Erst an meinem 21. Geburtstag habe ich mich so richtig entschieden, mit dem Schreiben anzufangen und mir ein Musikprofil anzulegen, anstatt nur ein anonymer Hobby-Musiker zu sein. Aber ich würde nicht sagen, dass ich professionell bin oder jemals sein werde. Mein Leben ist Musik, aber es ist so viel mehr! Ich habe einen guten Job im Online-Business als Haupteinkommensquelle, und – um ehrlich zu sein – ich bevorzuge es so. Denn so kann ich meiner Leidenschaft treu bleiben und muss mich nicht ‚verkaufen‘, um überleben zu können. Für die Mehrheit der Berufsmusiker, die ich getroffen habe, ist das Leben ein Kampf; sie haben wenig bis keine Zeit für das, wofür sie wirklich brennen. Ich denke, das ist die Realität in jedem kreativen Bereich – und ich bin nicht so naiv, zu denken, dass es bei mir anders wäre. Ich denke, die eigenen Träumen zu verfolgen und gleichzeitig einen festen Job zu haben, der einem nicht die Seele aussaugt, ist ein wunderbarer Weg, um kreativ zu bleiben.“

Apropos Kreativität – woher kommen die Ideen zu seinen Songs?

Musikmachen stellt für Marcus seit jeher eine Möglichkeit dar, seine Erfahrungen, Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. Dabei ist es nicht nur eine Art Therapie, auch keine bloße Leidenschaft, sondern vielmehr ein innerer Drang, sich auszudrücken: „Ich glaube, manche Menschen haben ein angeborenes Bedürfnis, etwas zu schaffen. Viel mehr als lediglich den Willen dazu. Ich könnte nicht aufhören, kreativ zu sein, selbst wenn ich es versuchen würde. Ich versuche immer, bestehende Definitionen in Frage zu stellen und meinen eigenen Weg zu schaffen – vielleicht ist es ein Kindheitstrauma, vielleicht ist es ein Segen.“

Dabei lässt sich Marcus Alexander ebenso von anderen Künstler*innen inspirieren – zu seinen Vorbildern zählen sowohl John Mayer, Gregory Alan Isakov und Coldplay als auch viele seiner Freund*innen aus der Schulzeit. „Leute, die mich beeindrucken oder mir Ideen zeigen, bei denen ich denke ‚Wow, da wäre ich in 100 Jahren nicht drauf gekommen‘, sind meine liebsten Quellen der Inspiration. Ich lasse mich aber eher selten musikalisch, sondern vielmehr poetisch inspirieren. Die Musik entsteht dann aus einer destillierten Zusammenstellung von allem, was ich musikalisch mag – einige Songs sind stärker von bestimmten Werken inspiriert worden, aber bei den meisten könnte ich nicht sagen, was die eigentliche Musik inspiriert hat.“

„Ich bin eher ein Texter und sehe Melodien und Musik nur als Nebenprodukt, wenn ich versuche, ein paar clevere Metaphern zu schreiben.“

– Und Metaphern, davon gibt es viele in Marcus‘ Liedern. Das ist seine Art, mit dem Leben umzugehen. Am liebsten schreibt er auf Englisch, für ihn die Sprache der Poesie und grenzüberschreitenden Kommunikation. Wenn ihn die Muse mal wieder küsst, macht er sich kurze Notizen und nimmt einzelne Melodieschnipsel auf, die am Ende zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt werden. Dabei ist es wie mit vielen Dingen: Wenn es läuft, dann läuft es; wenn nicht, dann nicht.

„Manchmal schreibe ich einen Song in 2 Stunden, manchmal schreibe ich ihn in Monaten oder Jahren. Ich weiß vorher nie, was ich mache. Ich spiele einfach meine Instrumente, bis sich etwas cool anhört. Für mich ist das alles sehr… zufällig. Immer, wenn ich einen Song fertig habe, schaue ich zurück und denke: ‚Wie zum Teufel bin ich bis hierhin gekommen? Okay, cooles Zeug… Ich schätze, ich bin wirklich ein Songwriter.‘ „

Ein ziemlich guter Songwriter sogar, so viel ist sicher. Damit wir am anderen Ende der Welt nun aber auch in den Genuss seiner Musik kommen können, muss das musikalische Material zunächst erst einmal aufgenommen und gemastert werden. Wie läuft das ab im Hause Arvidsson?

Die meisten seiner Songs entstehen bei Marcus zuhause. Als Technikbegeisterter hat er sich viel Grundlagenwissen über Aufnahmetechniken und Soundbearbeitung selbst beigebracht – kein Problem in Zeiten von YouTube und Co. –, dennoch ist und bleibt der langwierige Aufnahmeprozess für ihn der unliebsamste Teil der Musikproduktion. Diese Arbeit fühle sich einfach nicht mehr produktiv an. Aber nicht nur deshalb zieht sich das Recording oftmals in die Länge: “Ich fange fast immer an, meine Songs zu hassen, nachdem ich sie veröffentlicht habe, deswegen schiebe ich das normalerweise so weit wie möglich raus.“

Wenn das so ist, müssen wir uns wahrscheinlich noch etwas gedulden, bis die neue EP erscheint, oder?

Vielleicht ja gar nicht mehr so lange. Nach jetzigem Stand soll „It always rains“ am Ende des Sommers final veröffentlicht werden. Von den insgesamt vier Songs sind zwei bereits so gut wie fertig produziert: Den titelgebenden Song „It always rains“ gibt es bereits auf Marcus‘ YouTube-Kanal zu hören, während „Two Kids“, auf SoundCloud bisher lediglich für ausgewählte Ohren freigegeben ist. So viel sei bereits verraten: Der Song knüpft ebenfalls sowohl thematisch als auch vom musikalischen Stil her an Marcus‘ bisherige Werke an – ein Lied über Veränderung, Freundschaft und Loyalität, verpackt in träumerische Gitarrenbegleitung und einzelne Klavierakkorde. Dabei versetzen die Klänge wie gewohnt in eine eher melancholische Stimmung, der Text jedoch soll positiv stimmen.

Positiv – das perfekte Stichwort für die Frage nach der Zukunft:

„Wenn ich in zwei Jahren 30 werde, möchte ich eine Straßenmusik-Tour durch Europa oder die USA machen, vielleicht sogar nach Australien gehen. Ansonsten habe ich im Moment nicht viele Pläne oder Träume. Meiner Meinung nach macht es wenig bis gar keinen Sinn, in Zeiten einer historischen Pandemie für die Zukunft zu planen. Das Einzige, worauf ich hoffe, ist, dass ich nicht mehr lange in Malta leben werde. Leider ist dieser Ort nicht der beste, um kreativ zu sein. Doch manchmal sind es die Hindernisse und Herausforderungen, die Kreativität erst entstehen lassen.“

Dem ist wohl nichts weiter hinzuzufügen. Bleibt an dieser Stelle nur noch, Marcus alles Gute für seinen weiteren musikalischen Weg zu wünschen. Und an alle Leser*innen dieser Zeilen: Nehmt euch ein Beispiel an diesem inspirierenden Künstler. Das Leben ist zu kurz, um es perspektivlos verstreichen zu lassen. Nur wer anfängt, seine Träume zu verfolgen, kann sie irgendwann wahr werden lassen.

Anika Hähner

Von ganzem Herzen geht mein Dankeschön für dieses wirklich unfassbar gut geschriebene Porträt über einen sehr spannenden, aber auch leider sehr unbekannten Künstler an Anika Hähner! Es erfüllt mich immer wieder, Menschen wie sie kennenzulernen, die ihr ganzes Herz in das stecken, was sie lieben und dafür auch mal außerhalb der vorgefertigten Konstruktionen denken. Danke für dein Vertrauen!