Oldenburg, 12.05.2022 – noch nicht einmal einen Monat ist es her, seit die UmBauBar nach einem verheerenden Brand endlich wieder aufmachen konnte. Umso schöner ist es, zum ausverkauften Nina Chuba Konzert hier zu sein und von der vertrauten Wärme empfangen zu werden, die die Gemütlichkeit der kleinen Bar noch immer ausstrahlen kann. Schon kurz nach Einlass tummeln sich viele vorfreudige Gesichter oben auf niedlichen Sofas, liebäugeln mit der Bar und lassen sich auf euphorische Gespräche ein, während die Sonne über dem Hafen direkt vor der Tür untergeht.
Als Support hat Nina Chuba Yasmin Umay mitgebracht, die mit drei Songs zwar noch keine große Diskografie aufweisen kann, sich dafür aber ihren eigenen Platz im Plattenregal erspielen wird. Es wird leise um die Bühne, als der mexikanische DJ Do25Inco diese betritt und schon einmal einen kleinen Vorgeschmack liefert. Wenig später stößt Yasmin dazu, bringt Euphorie mit und verstreut Funken im Publikum mit dem Moment, in dem ihre Lippen das Mikrofon berühren. „Facettenreichtum“ wäre wohl der Begriff, der ihr Set am besten beschreibt – es gibt weder eine feste Genreschublade, noch eine Trennung zwischen Gesang und Rap, geschweige denn einen strikten Übergang zwischen Englisch und Spanisch. Auch Do25Inco beginnt auf einmal zu rappen, während auf dem Laptop bunt blinkend die Tonspur nebenher läuft.
Hier verschmilzt alles zu wabernden Gefühlen und schmilzt unter dem Feuer, das Yasmin von ihren zahlreichen Reisen mitgebracht hat. Sie balanciert gekonnt lässig zwischen Hip-Hop, R’n’B, Neo-Soul und Cool Jazz und schafft es dabei, diese Leichtigkeit das ganze Set über aufrecht zu erhalten. Ein Nachmittag am Baggersee, mit Sonnencreme in den Haaren und Picknickgefühlen im Bauch. Ich muss schmunzeln, als sie zu der Zeile „I can see my visions“ kurz ihre Sonnenbrille absetzt.
Der Funke springt über, als sie grinsend von ihrer Vorstellung von Feminismus schwärmt und sich sichtlich darüber freut, wie viele weiblich gelesene Menschen anwesend sind. „Bones“, die zweite Vorankündigung der bald erscheinenden EP folgt und verdeutlicht ihr Mindset zwischen Verzeihen und Neuanfängen. Ihr reicher Schatz an gesammelter Erfahrung lässt die Texte reflektiert wirken, verleiht der Musik aber gleichzeitig eine verspielte Note. Ihre grünen Ohrringe funkeln im Licht, während sie mit dem Publikum spielt: „I say they be, you say talking – they be – talking! Give it up for yourself, you are amazing!”
Mit dem Ende ihres Sets verlässt auch das mexikanische Feuer den Raum, rüttelt kurz wieder wach und lässt den Strom aus Menschen zwischen Theke und Tür pendeln. Die Einlassstempel verblassen auf dem Handgelenk, während die Umbauplaylist immer mehr Gemüter auf die kommende Show einstimmt. „Alles neu“ von Peter Fox ist das Highlight – und gerade, als der erste Moshpit zum Refrain eröffnet werden will, steht die Musik still und stattdessen kommt Bewegung auf die Bühne. Die anfängliche Empörung wandelt sich um in begeisterten Jubel, als Nina Chuba und Drummer Momme die Bretter betreten.
Das Set wird eröffnet mit „Power“, einem Song, der die Stimmung des Abends euphorisch vorgibt. Der mit seinen starken Texten trotzdem so unbeschwert durch die Menge schallt, sich immer wieder zurücknimmt und es kurzerhand vermag, die Spannungen in den Schultern zu lösen. Die installierten Lichtquellen strahlen verführerisch, die Blumenranken um Klavier und Mikrofone glänzen grinsend. Im Refrain schwebt Ninas Stimme, während sie in den Strophen durch die Menge wabert und dabei deutlich macht, was ihre Definition von Macht und Stärke ist. Der Beat nimmt zu, immer mehr Menschen drängen nach vorne.
Das hier soll ein ganz besonderer Abend werden, als sich die Hände im melancholisch angehauchten Dancehall verlieren. „Power“ ist auf der gleichnamigen EP zu finden, die seit 2020 die überrascht, die am wenigsten damit gerechnet haben. Ganz wie es der Song will, bei dem es darum geht, die Angst vor der Meinung Fremder zu überwinden und sich stattdessen den Überraschungseffekt zu eigen zu machen. Begleitet wird das von jubelnden Zurufen. Die ganze Euphorie lässt die UmBauBar förmlich aus allen Nähten platzen.
Schon jetzt ist die Stimmung am Überkochen, was wohl mitunter der Freundesgruppe zu verdanken ist, die betrunken grinsend dem Drummer Momme gewidmete Schilder hochhält. Auch wenn später der zigfachste Moshpit das Fass fast zum Überlaufen bringt, halten sie die Stimmung den ganzen Abend auf einem absoluten Hoch. Macht umso mehr Spaß, finde ich. Die Erwartung, ohne mindestens einen blauen Fleck davonzukommen, ist bei Konzerten meiner Meinung nach sowieso fehl am Platz.
Der Beweis, dass Nina Chuba neben ihrem musikalischen Talent auch eine großartige Texterin ist, kommt spätestens mit dem nächsten Track „Lips Shut“. Sie hangelt sich von Anspielungen auf Judas und Freud hin zu ausdrucksvollen Bildern, stellt die vom Scheitern überzeugten eigenen Zweifel an den Pranger und zeigt sich erfrischend ehrlich. Sie leide selber unter dem Imposter-Syndrom, weshalb sie oft nicht glauben könne, dass sie den Erfolg wirklich verdient habe – mit dieser ganzen negativen Wolke rechnet sie in dem nachhallenden Song ab.
Aber nicht nur textlich und musikalisch sollte man sich Nina Chuba unbedingt merken, auch ihre experimentierfreudige Ader steckt an. In welche Richtung sie mit ihrer Musik gehen werde, stehe noch in den Sternen. Gerade fasziniere sie Deutschrap, in der Kindheit war es Reggae und wer weiß, was da in Zukunft noch kommen wird – die Hauptsache ist, dass es in ihrem Flow passt. In ihren Flow, der mit den ganzen verschiedenen Effekten, Beats und Aussagen doch stets weiter nach vorne und immer mehr will. Die Reise fängt gerade erst an, hat ihren ersten Zwischenstopp hier in Oldenburg, auf ihrer ersten eigenen Tour. Unwirklich sei das alles, auch dass das Konzert heute geradezu rekordverdächtig schnell ausverkauft gewesen sei.
Unwirklich ist auch, dass ihre kaum vorhandene Erfahrung als Solokünstlerin ihrer Performance keineswegs schadet. Die Show wirkt durch und durch abgecheckt, jeder Ton sitzt, jede Ansage sorgt für wahlweise Gelächter oder Applaus an den richtigen Stellen. Wahrscheinlich hilft ihr da die vorherige Bühnenerfahrung mit ihrer einstigen Hamburger Schülerband „Blizz“ und die Schauspielerfahrung unter anderem auch durch die TV-Serie „Die Pfefferkörner“.
Ihre Sonnenbrille passt genauso gut zu der Attitüde wie der Vintage-Tracksuit von Momme. Auch, wenn sie auf ihrer zweiten EP „Average“ behauptet, nicht „savage“ zu sein, finde ich doch genau das – jede Menge Empowerment von ihrer Seite und jede Menge Hype aus dem Publikum. Ein Abend mit Nina Chuba auf der Bühne tut auf die Art und Weise gut, die die soziale Energie aufladen lässt und danach noch zu Einkaufswagenrunden auf dem leeren Lidl-Parkplatz ermutigt.
Wahrscheinlich sind es wie bei Yasmin zuvor all die verschiedenen Facetten und das Freimachen von Grenzen, das hier momentelang unbesiegbar fühlen lässt. Und die ganzen Bilder, die sie beispielsweise in „Babylon Fall“ auf die Bühne zaubert. „When Babylon falls / I’ll raise a glass cracked to the stem drink to the call” – mit einem Glas in der Hand prostet sie auf den Untergang an. Möge sie doch untergehen, all diese Oberflächlichkeit. „How you been, how you doing? How much money do you make prе tax? Why the fuck you didn’t comment or react To the candid photo of my ass?“
Die Gesellschaft ist zu verkopft, die Themen zu vorhersehbar, aber wirklicher Wert ist kaum noch zu finden. Scharfe Gesellschaftskritik, die sich aber auch in mehreren Songs wiederfindet – „Who hurt you“ wohl das eindrucksvollste Beispiel. Der Song ist aus der Wut über den Hate-Kommentar „you’re an industry whore“ entstanden, wechselt von Anklage zu Mitleid und zeigt einmal mehr ihre Reflektiertheit, als sie sich selber wenige Zeilen später auch noch angreift und dem Kommentar in gewisser Weise auch zustimmt. Egal, wie oft sie das Business als oberflächlich abstempeln wird – letztendlich profitiert auch sie davon.
Ganz ehrlich – nur selten bin ich auf Konzerten, bei denen keine Band auf der Bühne steht. Zwar hält Momme Drumsticks in der Hand, bedient dabei aber auch nur einen Drum-Computer, kein echtes Schlagzeug. Das hier ist raus aus meiner Musikcomfortbubble, aber nach anfänglichem Zögern bin ich froh, mich doch getraut zu haben. Natürlich ist es was anderes. Aber die Crowd ist so verdammt gut drauf, die beiden auf der Bühne so sehr am Strahlen und nach einigen Songs habe ich mir abgeschaut, wie ich auch hier loslassen kann. Und das ist alles, was gerade zählt.
Vielmehr noch begeistert mich die Art, mit der Nina Chuba mit ehrlichem Lächeln verstaubte Türen eintritt. Gerne auch mit Baseballschläger in der Hand. Sie bringt Authentizität in eine Branche, die ertrinkt in unzähligen Promo-Kampagnen und lächelt all das liebevoll weg, während sie auf TikTok ihre neuste Single-Idee neben ihren täglichen Struggles teilt. Das hier ist anders, das hier ist näher dran, individueller, intimer. Es ist nun mal so, dass die Generationen momentan mit den neusten Trends groß werden. Und vielleicht ist Nina Chuba mit ihrer schnellen Brille auf der Nase schon längst ein Teil davon geworden – einer, der eine Revolution anstoßen zu vermag und sich nicht mehr länger stillschweigend hinter dem Bildschirm verkriecht.
Bestes Beispiel dafür ist „Neben mir“, ihr erster deutscher Song, der in Ausschnitten zuerst auf TikTok gelandet ist. Vorher habe sie nie auf Deutsch schreiben wollen, bis zu dem Track – man könne es ja mal probieren. Seitdem sind vier eigene weitere Songs auf Deutsch erschienenen, nicht zu vergessen dabei auch das Cover von „Alles wird gut“ mit Kummer und der gemeinsame Track „Zorn und Liebe“ mit Provinz. Auch das Album soll komplett auf Deutsch sein – und noch dieses Jahr erscheinen!
Auf deutsch zu schreiben sei für sie teilweise immer noch schwer. Die Wörter bekommen mehr Wert, werden gegeneinander aufgewogen und letztendlich zeige sie sich so auch verletzlicher. Was besonders deutlich wird, als sie sich zu dem noch unveröffentlichten Song „Glas“ ans Klavier setzt. Die hochgekochte Stimmung friert für einige Minuten ein, das Bier in der Hand wird ersetzt durch funkelnde Taschenlampen. „Wir sind zu zweit, aber ich bin allein / Und ich frag mich so oft, ob du überhaupt willst, dass ich bleib“. Ihre samtig-sanfte Stimme verleiht auch diesem Song sein ganz besonderes Timbre, wird überzogen mit der Gänsehaut, die sie zwischen Pop, Rap und Soul immer wieder hervorrufen kann.
Ihr nimmt man die Verletzlichkeit genauso sehr ab wie die innere Stärke, wenn sie mühelos zwischen den Genres und Gefühlen wechselt. Der sich anschließende „Levitating“ ist ähnlich emotional – aber hier wird mehr als nur einmal der Sprung zwischen Englisch und Deutsch sichtbar. Während das Englische die Gefühle auf eine gewisse Distanz hält, wirkt das Deutsche nah- und vor allem greifbar. Irgendwie echter, aber ohne den englischen Songs ihre Authentizität absprechen zu wollen.
„Kennt ihr „I Can’t Sleep“? Ich habe den Song über Todesangst geschrieben, um mein jüngeres Ich zu beruhigen.“ Blaue Lichter blühen, ranken sich um die zitternden Arme. Der Song wirkt mehr denn je wie eine warme Umarmung. Erinnert an einen verregneten Abend, mit der Tasse Kakao in der rechten und einem dicken Buch in der linken Hand. Hüllt ein in den übergroßen Pulli und in die warme Kuschelsocken. Lässt einen gedankenverloren auf der Fensterbank sitzen und in die Ferne starren, um der Welt beim Schlafen zuzusehen. Erkennt all die pulsierenden Gefühle an, flüstert ihnen aber auch gleichzeitig ins Ohr, dass alles wieder gut wird. Und meint es auch wirklich so.
Ihre Stimme ist dabei so hauchzart, dass der nächste Wind sie mitnehmen könnte. „If I could lock up light in your little heart / Keep your innocence of the deep down dark / I would” Das in mehreren Tonlagen wiederholte „I would“ lagert sich übereinander, schwebt über den Wolken und zieht für Sekundenbruchteile der Angst die Beine weg. Und ich verliebe mich ein wenig in die liebevoll gewählten Alliterationen.
Das deutschte Pendant findet sich in „Nicht allein“, der zwar nicht ihr jüngeres Ich beruhigen soll, aber dafür für einen Freund geschrieben wurde, der an Depressionen leidet. „Der Song soll ausdrücken, dass er mit seiner Krankheit nicht alleine ist und ich immer für ihn da sein werde“. Eine Message, die wie die Umarmung aus „I Can’t Sleep“ beruhigend über die Schultern streicht und den Platz bietet, den jede*r jetzt gerade braucht. Nina Chuba beweist nicht nur ihr Mitgefühl und ihr offenes Auge für ihre Umwelt, sondern auch ihr Gefühl für die richtigen Texte zur richtigen Zeit. Und auch, wenn sie sich manchmal fühle, als könne sie nur tatenlos daneben stehen, spannt der Song einen Fallschirm mit Auffanggarantie. „Draußen bestes Wetter, aber in dir diese Sonnenfinsternis/ Es donnert und es blitzt / Ich werd‘ dich nicht vergessen / Doch will nur, dass du dich auch niemals vergisst / Weißt du noch wer du bist? / Du bist nicht allein“.
Die Beats wabern zwischen melancholisch und doch zugleich tanzbar umher. Die meisten Songs nehme sie im Winter auf, wenn sich die gute Laune zusammen mit der Sonne hinter dicken Daunen verkrochen hat und der Nostalgie ihr wohlverdienter Platz eingeräumt wird. Sie selber sei zwar von Natur aus eher fröhlich, aber zugleich auch sehr reflektiert – vielleicht ein bisschen zu sehr, wie sie selbst zugibt – findet aber, dass die nachdenklichen Momente eindrücklicher wären und es letztendlich diese Gefühle sind, die es ins Studio schaffen.
Ganz anders hingegen ist die erst kürzlich releaste Single „Femminello“, die den Sommer einfängt und so schnell nicht mehr wieder gehen lassen will. Geschrieben auf Sizilien und benannt nach einer sizilianischen Zitronensorte hat der Song alles, was man gerade im Winter am Sommer vermisst. Vereint Sehnsucht nach Untertauchen im kühlenden Meer, Abdrücke auf der Nase von der schweren Sonnenbrille, staubige Sandburgen und das Schlürfen von Limonade mit dem 9-Euro-Ticket nach Sylt im Gepäck. Der Song feiert das Leben – und mehr braucht er auch nicht, während das auf Film aufgenommene Musikvideo die italienische Ästhetik einfängt und dabei gekonnt lässig trotz sprudelnder Sommergefühle den verführerischen Hauch von Nostalgie aufweist.
In ihren Musikvideos wird deutlich, dass Nina Chuba durchaus auch einen Sinn für das Visuelle hat – ist sie doch eigentlich nur nach Berlin gezogen, um eine Karriere als Regisseurin anzustreben. Ihr Weg war ursprünglich nämlich einer, der bei der großen Kinderserie „Die Pfefferkörner“ anfing, sie von der Kleinstadt Wedel in das Hamburger Viertel Blankenese und nach dem abgelehnten Studiumsplatz in Berlin stattdessen in das Studio ihres ersten Produzenten führte. 2018 begann sie, als Solokünstlerin Musik zu schreiben und das seit gut einem Jahr auch auf Deutsch. Und immer erfolgreicher. Nach der Zugabe wollen alle immer noch mehr, wollen lautstark „Molly Moon“ hören. Aber der Abend ist vorbei, alles Gesagte hat die Bühne verlassen und alle Gefühle haben die Möglichkeit bekommen, entweder in der Menge zu tanzen oder in dieser unterzugehen. Das nächste Mal dann auf den zahlreichen Festivals im Sommer oder auf der nächsten, bereits veröffentlichten Tour im Frühjahr.
- 26.04.2023 DE-Bremen TOWER Musikclub TICKETS
- 27.04.2023 DE-Bielefeld Lokschuppen TICKETS
- 28.04.2023 DE-Nürnberg Hirsch TICKETS
- 29.04.2023 CH-Zürich Exil TICKETS
- 01.05.2023 DE-München Strom TICKETS
- 02.05.2023 DE-Stuttgart Im Wizemann (Club) TICKETS
- 03.05.2023 DE-Dresden GrooveStation TICKETS
- 05.05.2023 AT-Wien B72 TICKETS
- 06.05.2023 DE-Leipzig NAUMANNs TICKETS
- 07.05.2023 DE-Frankfurt a.M. Zoom (Club) TICKETS
- 09.05.2023 DE-Köln Gloria TICKETS
- 10.05.2023 DE-Berlin Columbia Theater TICKETS
- 13.05.2023 DE-Hannover 60er-Jahre Halle TICKETS
- 14.05.2023 DE-Hamburg Mojo Club TICKETS
Beitragsbilder: Mihanta Fiedrich / Gedankengroove
Vielen Dank an All Artists Agency für die Möglichkeit!
https://allartists.agency/artists/nina-chuba/