Die Akkorde des Anfangens

Der Blick in den Spiegel verheilt alte Wunden und schenkt neue Kraft, die Beacher auf der EP „Fear Of Missing Out“ (VÖ: 30. Oktober 2020) verarbeitet. Zwischen leisen Klängen und lauten Gefühlen nimmt Martin Müller mit in leere Räume und flackernde Flammen.

Die Scheinwerfer gehen zögerlich an, tasten sich schüchtern strahlend ihren Weg über die Bühne und legen sich auf die Gitarrensaiten. Flackern, drohen auszugehen. Werfen einen kurzen Blick auf den angesammelten Staub, der sich mit jedem Takt ein wenig mehr verflüchtigt. Draußen rascheln die Blätter unter den ausgelaufenen Schuhsohlen, während drinnen Gefühle in der Musik untergehen. Der erste Song „Where Should I Beginn“ schließt alte Türen und dreht den Schlüssel sorgfältig im Schloss um, traut sich aber noch nicht, sich gänzlich dem Scheinwerferlicht zu stellen. Mit jedem angerissenen Akkord wird das Licht weicher, die Klänge sanfter und der Weg ebener.

Es ist wichtig, einfach anzufangen. Auch, wenn der Tee inzwischen wieder kalt und die Gedanken weit weg sind. Beacher hat sich das zu Herzen genommen – nachdem zwei Jahre lang Funkstille zwischen ihm und seiner Musik waren. Mit überraschend selbstkritischer Reflexion über den Mut, der hinter dem Anfangen steckt und den Selbstzweifeln, die beim Weitermachen drohen, die Mauern wieder zuzuziehen. Graue, langsam verbleichende Pflastersteine im Kopf stellen sich kreativen Impulsen in den Weg.

„But it feels so hard to write when you’re alone in your mind“

Aber trotzdem schafft Beacher es, mit seichten Saiten ein Feuer zu zünden. Kein großes, sondern eher eines, das gerade noch so den Raum mit Licht füllt und ein kleines bisschen Wärme spendet. Aber immerhin ist es da. Wirft dunkle Schatten an die Wände, die vom Scheitern und Aufgeben erzählen. Und wenn man es dann schafft, sich von den dunklen Schatten zu lösen und stattdessen die Schönheit in der funkensprühenden Flamme und dem knisternden Feuerholz zu finden, ja, dann fällt das Anfangen vielleicht gar nicht mehr so schwer.

„Drei Jahre später habe ich beim Songwriting immer noch die gleichen Probleme und Selbstzweifel, aber ich bin glaube ich auf einem guten Weg, offener mit den Dingen umzugehen, die mich beschäftigen. „


Ein neuer Atemzug in „Stay Home“ und das Feuer gewinnt langsam an Kraft. Die Akkorde wirken zwar zurückgezogener als bei dem vorangehenden Song, aber die neu errungene Stärke in der Stimme von Martin überzeugt vom Gegenteil. Im Refrain findet er sich selbst, kann sich aus der im Kopf konstruierten Schublade befreien und zu den eigenen Gefühlen stehen.

Die Schublade trägt die Aufschrift „Ausgehpflicht“ und beinhaltet unzählige Benachrichtigungen von stattfindenden Veranstaltungen und kommenden Einladungen. Mit einem zufriedenen Grinsen reißt Martin sie aus seiner eigenen Anordnung innerlicher Barrieren heraus. Hat es geschafft, sie durch Abende auf der Couch in den eigenen vier Wänden zu ersetzen. Das Feuer knistert im Kamin, lodert im Refrain hell und wärmt das Herz auf. Zeigt, dass es richtig und wichtig ist auf die eigenen Gefühle zu hören, auch wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen.

Es ist eben nicht wichtig, die zehnte Story innerhalb von ein paar Stunden auf Instagram posten zu können, die jeden Tag mit neuen Gesichtern und neuen Erlebnissen gefüllt wird. Auch, wenn social media das Gefühl gerne vermitteln will; gefangen zwischen nachgestellten Bildern und Filtern, die die Realität langweilig erscheinen lassen. Davon erzählt auch der Titel „Fear Of Missing Out“, aber auch von dem Mut, sich dieser Angst zu stellen und Abstand zu gewinnen.

Ich war schon fast erleichtert, dass der Song trotz des Titels nichts mit der aktuellen Situation zu tun hat – Corona-Songs und ich werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr werden – sondern schon ein paar Jahre älter ist. Hoffnung in der Stimme mischt sich mit Sehnsucht in der Melodie, blickt zuversichtlich in die Zukunft und ist endlich bereit, das eigene Leben mehr und mehr von Fremdeinfluss zu befreien.

„Stay clear when they’re dazed and confused / Because in a sea of lies you’re the sailor of the truth / You’ve got a map written in your mind after all those years / To get through the night without any fear“

Für den letzten Song der EP „I Knew You So Well“ hat Beacher sich ein Herz gefasst und Mut zusammengekratzt, der in atmosphärischen Klängen und entschlossenen Vocals mündet. Auch hier halten sich die Lyrics kurz, lassen Raum für eigene Gedanken und die Stille für sich sprechen. Lassen zu, dass man sich in dem Song verlieren kann, ohne jede Sekunde von neuen Eindrücken überrannt zu werden. Das Schlichte erzählt auf seine ganz eigene Art eine Geschichte, die von leeren Augen, unverdienten Schicksalsschlägen und hinterlassenen Erinnerungen handelt.

„I knew you so well / I can tell stories from every place you’ve been, of all the faces you’ve seen“

Der Raum zwischen den Zeilen füllt sich mit den-Bauch-vor-lauter-Lachen-haltenden Momenten, mit dem herben Geruch der fallenden Blätter, mit dem leisen Klang der Stimme durch das Handy, mit den strahlenden Gesichtern in der Spiegelung der Pfützen in der Nacht. Mit den guten wie auch den schlechten Erinnerungen – aber vor allem mit dem Gefühl der Vertrautheit, das man einst verspürt hatte. Die Erinnerungen sind nicht mehr Teil der Gegenwart, werden nie Teil der Zukunft sein können. Kalte Finger streichen über die eingravierte Schrift auf dem verstummten Stein. Eine Lücke im Herzen ist alles, was bleibt – und die ganzen Gefühle, die sich mit wehleidiger Kraft an den pulsierenden Schlägen festklammern.

„Ich spiele diesen Song seit bestimmt fünf Jahren, er hat sich mit der Zeit immer wieder verändert und ich bin unendlich froh, ihn nun endlich festgehalten zu haben und ihn mit anderen Menschen teilen zu können.“

Diese Kraft wird dann in der letzten Minute freigesetzt, wenn die Spieldauer von 02:59 auf 03:00 umschlägt und über den leisen Gitarrenklängen herrische Drums und heulende Melodien einbrechen. Verzweiflung, Verbitterung und Verlust spiegeln sich in der emotional aufgeladenen Stimme, die all diese Gefühle mit Nachdruck aus tiefster Kehle herausschreit und Gefahr läuft, von den peitschenden Wellen der Melodien aus der Welt gerissen zu werden. Ein Umbruch, der in der letzten Minute der zurückhaltenden EP sich unerwartet seinen Weg durch die Menge bahnt und die Scheinwerfer dazu bringt, wild und jede Selbstbeherrschung über den Haufen werfend auf der Bühne zu tanzen.

Beitragsbild: (c) Joscha Mengel