Schmerzverzerrte Gesichter und hochschlagende Herzen

Wir schreiben Samstag, den 26. Januar 2019. Während im Weserstadion Bremen das Heimspiel Werders gegen Eintracht Frankfurt gefeiert wird, trotzen schätzungsweise 500 Menschen aus Bremen und Umgebung dem beliebten Mannschaftssport und machen sich vorfreudig auf den Weg zum Konzert der deutschen Post-Hardcore Band Fjørt im Schlachthof.

Nach und nach trudeln immer mehr Besucher in die gemütliche Location ein, bewundern die schönen Designs am Merchstand, verquatschen sich an der stets gefüllten Bar, spenden schon erste Pfandbecher für die Jungs und Mädels von “Viva Con Agua” oder begeben sich auf direktem Weg in die Kesselhalle.

Um Punkt 20 Uhr steht dann auch die Indie-Rock Band Yellowknife auf der Bühne und lässt die ersten Töne ihres halbstündigen Sets erklingen. Die dreiköpfige Band liefert tanzbare und melodische Songs ab, die dazu einladen, in die eigene Gedankenwelt zu verschwinden und einfach mal abzuschalten. Auch die Band selber scheint versunken in ihrer eigenen Welt, alle Bandmitglieder handeln für sich selbst. Im nächsten Moment spielen sie sich gegenseitig zu, gehen die Show auf ihre ganz eigene Art und Weise an. Während der Bassist Gefallen daran findet, auf einem Bein auf seiner Bühnenseite entlang zu hüpfen oder energiegeladen auf und ab zu springen und hin und wieder ein paar Samples einzustreuen, verliert sich der Sänger förmlich in der Musik, wirft ab und zu sehnsuchtsvoll einen Blick ins Publikum oder singt seine Zeilen gefühlsvoll mit geschlossenen Augen. Der Schlagzeuger wiederum liefert konzentriert die standhaften Beats und vertieft sich mit voller Gedankenkraft in seine Rhythmen.

Insgesamt wird man von der Newcomer-Band positiv überrascht, deren Musik live energiegeladener als auf den letzten beiden erschienenen Alben klingt, aber sich dem Publikum trotzdem nicht aufdrängt. Genau richtig, um sich vor einem Post-Hardcore Konzert noch einmal zu sammeln und kurz durchzuatmen. Dankbar, dass ihnen zu der frühen Stunde schon so viele zuhören – wie der Bassist sowie der Gitarrist des öfteren bestätigen – verabschiedet sich das Trio mit einem breiten Lächeln auf den Lippen in den wohl verdienten Feierabend und hinterlässt ein mindestens genauso breites Lächeln im Gesicht der ersten-Reihe-Fans. Gerne wieder, Yellowknife!

Yellowknife – A Saturday

Während die Zeit weiter auf neun Uhr zu läuft, wird der kleine Besucherraum immer voller und auch die Ränge werden weiter aufgefüllt, es wird noch ein letztes Mal Kraft an der Bar oder an der frischen Luft getankt, denn die nächsten 1 ½ Stunden versprechen schweißtreibend zu sein. Zur Freude aller lässt Fjørt nicht lange auf sich warten und nachdem um ziemlich genau neun Uhr zur Erheiterung des Publikums der Klassiker “Mit Pfefferminz bist du mein Prinz” durch die Boxen läuft, erklingen auch die ersten Töne des Intros. Wenige erwartungsvoll knisternde Minuten später begeben sich David FringsFrank Schophaus und Chris Hell unter heftigem Beifall an ihre Positionen – nicht ohne sich vorher ehrfürchtig vor dem Publikum zu verbeugen. Eine wunderschöne Geste. Als erster Song steht “In Balance”, der Opener des vorletzten Album “Kontakt”, auf dem Programm – allerdings wird dem Songtitel nicht lange gerecht geblieben und binnen weniger Sekunden steht die Menge nicht mehr still und verliert seine Balance.

Ab dem nächsten Song “Eden” kann dann auch der letzte Besucher nicht mehr still halten und das Wiedersehen mit der Aachener Band wird gebührend gefeiert. Die Spannung und Energie im Schlachthof ist förmlich zu greifen und das Publikum steht unter einem unbändigen geladenen Strom, der dafür sorgt, dass alles in einem verschwimmt und sich die 1 ½ Stunden wie eine stärkende Umarmung anfühlen, die man lange vermisst hat und in der man sich gänzlich fallen lassen kann. Und vermisst wurde die Band wirklich, das merkt man der Menge sofort an.

Auch wenn das Konzert nicht ausverkauft ist, scheinen im Vorverkauf viele Tickets über den Tisch gewandert zu sein, denn es kann gepogt, getanzt oder einfach nur kopfnickend zugeschaut werden, ohne dass deutliche Lücken erkennbar sind. Auch die Ränge sind gut gefüllt. So gut es geht rückt die Menge in dem beschaubaren Zuschauerraum zusammen; bald gibt es keinen Unterschied zwischen links, rechts, hinten und vorne mehr – die nie zu enden scheinenden Moshpits, die nicht selten die ganze Breite des kleinen Raumes einnehmen, schlucken alle Gedanken und Gefühle und lassen es nicht zu, dass irgendjemand dem anziehenden Sog entkommen kann. Das Trio auf der Bühne genießt das sich vor ihnen abspielende Geschehen sichtlich, bedankt sich strahlend immer wieder dafür, dass sie vor so vielen Leuten spielen dürfen und lassen es sich nicht nehmen, ihr Set für ausführliche Ansagen zu unterbrechen. 

Auch wenn das letzte Album “Couleur” 2017 erschienen ist, sind die Songs immer noch aktuell und in einer mehr als zwei minütigen, vor Kraft trotzenden Rede ruft Bassist David vor “Paroli” die Konzertbesucher dazu auf, nicht müde im Kampf gegen Nazis zu werden und lobt diejenigen, die immer wieder ihre Stimme gegen Rechts erheben. Das findet besonderen Anklang im Publikum und einmal mehr wird gezeigt, dass es auch in 2019 noch wichtig ist, zu zeigen, wofür man steht und diese Position nicht zu verraten. Der Song “Paroli” wird daraufhin mehr als nur angenommen, bietet jedem eine Chance dazu, auf seine eigene Art und Weise laut gegen Nazis zu werden und mit den Zeilen “Auf zwei von denen kommen zehn von uns” beeindruckend kraftvoll alle Verachtung gegenüber der “braunen Pest” durch den Schlachthof zu schleudern. Alle Kräfte werden zusammen geballt, um endlich lautstark und mit gesundem Tatendrang das rauszulassen, was schon viel zu lange überfällig ist. 

Fjørt  – Paroli

Auch der Kontakt zum Publikum wird nicht gemieden – alle verschwimmen zu einer Masse, die als großes Ganzes fungiert und in der jeder einzelne an die Hand genommen wird. Vor allem Bassist David schreckt nicht vor Publikumsnähe zurück und das stachelt die zahlreichen Konzertbesucher noch einmal mehr an. Besonders während der ersten Songs spürt man, wie sich der Moshpit den Bewegungen des Bassisten anpasst und sich zusammen mit ihm aus vielen Kehlen und doch einstimmig die Seele aus dem Leib geschrien wird.

Schmerzverzerrte Gesichter, geschlossene Augen, weit aufgerissene Münder, in die Luft gereckte Hände und hoch schlagende Herzen repräsentieren die Besucher an diesem Samstag, die keine Hemmungen davor aufweisen, sich dem tobenden Sturm an Gefühlen hinzugeben. Als würde niemand anderes mehr existieren als Fjørt. Niemand anderes mehr als die Band, die an diesem Abend den Laden ohne große Mühe auseinander nimmt, keinen Stein auf dem anderen lässt und dabei die Besucher mit eindrücklichen Kunststücken berührt und bewegt.

Auch wenn das Konzert sich immer weiter dem Ende entgegenstreckt, merkt man davon nichts und die unter Strom stehende Atmosphäre nimmt kein Stück ab. Fjørt ermöglicht, dass die Besucher im Moment leben können, alles vergessen dürfen und Seele und Herz in die Musik legen können. Was besonders auffällig ist, sind die kaum bis gar nicht vorhandenen Handybildschirme, die krampfhaft versuchen, den besten Moment aufzunehmen – mehr als nur ein Beweis dafür, dass der Abend gar nicht wirklich festgehalten werden kann. Die Atmosphäre, die Hitze, die Kraft, die Gefühle – all das muss man selbst erlebt haben, um so einen euphorischen Abend nach empfinden zu können. 

Fjørt – Couleur Hotelsession


Beitragsbild: Andreas Hornoff