In meinem Freundeskreis ist ein völlig gängiger Spruch „Hier stinkt’s bis nach Meppen“. Umso erfreuter war ich dann doch, als mein Zug langsam, aber sicher in den Bahnhof von Meppen einfuhr. Und eines kann ich direkt klar stellen: trotz all der Sprüche ist Meppen ein schöner, schnuckeliger Ort und gar nicht einmal so abgeschieden. Aber deswegen habe ich die Reise gar nicht auf mich genommen, sondern vielmehr, um dem Kleinstadtfestival einen Besuch abzustatten. Insbesondere haben es mir Hi!Spencer, Razz und Itchy angetan, aber auch Weekend habe ich unter die Lupe genommen.
Ein sonniger Tag liegt vor uns, kleine Schäfchenwolken verzieren den Himmel. Ein kleiner Gang über das nicht allzu große Festivalgelände – ein Essensstand (der leider die ganze Zeit über viel zu überfüllt ist), dafür mehr Stände mit Kaltgetränken und ein paar Infostände. Liebevoll dekoriert. Viele Sitzmöglichkeiten unter mit Platten geschmückten Bäumen. In der Mitte des Platzes ein Beachvolleyballfeld, passend zum sommerlichen Wetter. Ist schließlich schon der 27. Juli und damit inmitten der Festivalsaison. Zum Glück aber nicht das anstrengende sommerliche Wetter und so sind die Besucher ohne hartnäckige Schweißbildung guter Dinge. Staub lässt sich jedoch auch nicht verhindern, da die Fläche vor der Bühne aus Sand besteht.
Hi!Spencer aus Osnabrück sind definitiv nicht der Act, weswegen die Leute den Weg auf sich genommen haben. Aber vielleicht einer der Gründe und nach der Show definitiv einer der Favoriten. Schon Mittags für eine gute Stimmung sorgen können sie. „Wo immer du bist“ dient als Opener. Inmitten von feurigen Refrains und unterhaltsamen Ansagen spielen sich die fünf Musiker durch ein 42-minütiges Set. Gespickt mit Klassikern, aber auch mit Hits vom neuen Album „Nicht raus aber weiter“. Definitiv geeignet für die Festivalbühne. Die blendende Sonne soll davon nicht abhalten, ebenso wenig das warme Wetter. Für das schon bald eine Abkühlung geliefert wird – in Form eines gutmütigen Securitys, der aus dem Graben heraus einen Wasserschlauch immer wieder in die Menge hält. Und so kommt es, dass binnen weniger Songs das ganze Publikum nass ist. Auch eine Leistung. Auf der Bühne sieht das wenig anders aus, aber hier ist wohl mehr der Schweiß der Grund. „Weck mich auf, damit ich weiß, ich bin noch hier!“ kann in der Mitte des Sets schon mitgesungen werden. Zu meiner Freude wird es immer voller, sodass bei dem für Hi!Spencer typischen Mitmachsong „Nicht raus aber weiter“ ein euphorischer Chor aus verschiedenen Lungen in die prägenden Melodien einsteigt. Im Wasser gespiegelte Regenbögen tanzen auf und ab. Schmücken die farbenfrohe Atmosphäre. „Wir tun einfach mal so als wären wir kurz runter gegangen und das ist jetzt die Zugabe.“ Sympatisch sind sie auch noch, spielen die letzen Songs und lassen sich auf der Bühne und beim Merchstand feiern.
Auf jedem Festival gibt es mindestens einen Act, den man sich nur anschaut, weil man ohnehin nicht da herum kommt. Dieses Jahr ist es Weekend. „Wir sind die verrückten Rapper, die sich auf ein Punkfestival trauen.“ und verrückt ist das wirklich – aber findet Anklang. Zwar nicht bei mir, aber dafür bei einer Handvoll Besucher, die auch teilweise mehr oder weniger textsicher mit rappen können. Musikalisch gut abgestimmt, in Erinnerung bleiben aber viel mehr die ganzen Publikumsinteraktionen. Von denen sich die ein oder anderen Punkacts gerne noch etwas abschauen können. Angefangen mit seinem selbstsicheren Auftreten, gekrönt durch Aussagen wie „Kommt ein Stück nach vorne, das Konzert findet hier statt!“. Dazu eine große Portion Selbstironie: „Ich bin auch ein schlechter Tänzer“. Animiert dazu, mitzutanzen. Da er es auf der Bühne mehr oder weniger gut vormacht, können Dancemoves leicht kopiert werden. Geprägt von Witzen und Insidern ist die Show nicht mehr länger nur zum Zuschauen da, sondern wird schnell interaktiv. Was zweifelsfrei gut ankommt. Als er sich dann ins Publikum begibt, ist die Freude groß – besonders auf der Seite von zwei Besuchern, die sich blitzschnell mit dem Rücken zu ihm positionieren, ihr Handy zücken und auf einem Selfie mit ihm um die Wette strahlen. Warum man so etwas macht, verstehe ich bis heute nicht. Wieder zurück auf der Bühne, geht es um Rolf. Ich kann damit nichts anfangen, aber ums Lachen komme auch ich nicht herum. „Es ist vielleicht das dümmste Lied, das ich geschrieben habe, aber es macht Spaß.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Genauso wie er geht sein DJ ab, der sich hinter einem dekorierten Pult aufhält. Sind das Minecraft-Herzen? Die Show scheint kein Ende zu haben, der Rapper und sein Freund haben zu viel Spaß auf der Bühne. Was ja erst einmal cool ist – aber meiner Meinung nach soll man auch aufhören, wenn es am Schönsten ist. Und das war vor 3 Songs.
Kurz darauf stehen Razz auf der Bühne. Und mit einem Mal ist der Platz richtig schön voll. Ist ja auch fast ein Heimspiel, da kommen gerne alle Freunde und Verwandten vorbei. Allen anderen Bands und Künstlern voraus startet die Show mit einem mystischen Intro, geschmückt durch das Albumcover von „Noctural“ verziertes Bühnenbild und getaucht in Lichteffekte. Die sich vielseitig ihren Weg über die Bühne tasten, sobald die Band diese betritt. Und ab Sekunde eins ist die Stimmung am strahlen, das Publikum stellt sich als sehr textsicher und tanzfreudig heraus. Die erste bis dritte Reihe dicht an dicht gedrängt, besetzt von Fans und Freunden. Dahinter noch viele weitere Besucher, die auch ohne den besten Platz die Show genießen können. Die Band aus Emsland überzeugt mit einer überraschend starken Bühnenpräsenz, die ich bei dem doch ziemlich sanften Indie Rock nicht erwartet hätte. Besonders Niklas Keiser gibt mit Stimme und Gitarre alles, um der Musik ihren Ausdruck zu verleihen. Razz geistern zwar immer wieder durch meine Playlisten, einen richtigen Eindruck hatte ich aber noch nicht – was sich heute ändern soll. Tanzbare Refrains verschwimmen mit starken Instrumentals, vereint durch kräftigen Gesang. Live eingebaut werden Loops, die dem Klangteppich eine verspielte Note einhauchen. Niklas‘ ausgestreckte Hand strahlt Ruhe und Beständigkeit aus, fischt die herumschwebenden Emotionen aus der Luft heraus. Funkelnde Euphorie aus dem Zuschauerraum.
„Wir haben einige neue Songs mitgebracht, ich hoffe das ist okay!“ und wie „okay“ das ist. Auch diese werden direkt auf ihre Tanzbarkeit geprüft, bunt verziert durch durch die Luft fliegende Hände und lächelnde Augen. Die Lichteffekte drehen weiterhin lustig ihre Runden, werden eingelullt durch wolkenartig ausgestoßene kleine Nebelgebilde. Und besonders während den Instrumentals bemerkt man die Einheit, die die Band seit 2012 bildet – was hier rübergebracht wird, ist ein professionelles gemeinsames Musizieren, in dem jeder seinen Platz findet. Ob es jetzt Steffen Pott am Schlagzeug ist, der zusammen mit Lukas Bruns am Bass für einen kontinuierlichen Klangteppich sorgt, oder Christian Knippen, der zusätzlich immer wieder neue Gitarrenmelodien einstreut. Auch der Synthesizer passt perfekt in die euphorisch funkelden Songs. Die Klassiker vom letzten, in 2017 erschienenen, Album dürfen hierbei natürlich auch nicht fehlen. Trotzdem werden auch die neuen Songs voller Vorfreude geschluckt.
Eins muss man Razz lassen: nicht nur ihre Musik hat Stil, ebenso die Bühenoutfits lassen auf einen guten Geschmack schließen. Herausgeputze, schwarze Schuhe, die im Takt auf den Boden tippen, sorgfältig gemachte Haare, ordentlich zugeknüpfte Hemden. Da macht das Zusehen gleich viel mehr Spaß, als wenn die Band sich nur in schwarz gekleidet präsentieren würde, wie es bei Hi! Spencer vorher der Fall war. Ebenso Stil haben die Übergänge, die einzelnen Songs verschwimmen miteinander. Werden nur unterbrochen durch Ansagen, ergeben insgesamt eine sauber ausgearbeitete Performance. Die als sie zum Ende kommt durch die folgende Pause nachhallende jubelnde Zugaberufe belohnt wird. Es war schön, euch endlich live kennenzulernen, Razz!
Immer dunkler wird es vor der Open-Air Bühne, gerade macht Itchy Soundcheck. Wenige Minuten später setzen schon die ersten Töne von „Why Still Bother“ ein, die mich aus meinem Gespräch mit den Jungs von Razz lösen, aber ich muss schließlich noch zu meinen Freunden finden. Wenige Augenblicke später stehe ich dann neben diesen in der ersten Reihe und singe glücklich die Zeilen mit. Hach ja, liebe Itchys. Die Band, die es jedes Mal auf’s Neue schafft, sich ordentlich ins Zeug zu legen und mit energiegeladenen Riffs, tanzenden Beats und fordernden Gesang abzuliefern. Besonders das Bühnenbild hat es mir angetan – fünf lebensgroße, leuchtende Buchstaben, die zusammen den Namen der Band ergeben. Die immer wieder eine strahlende Show bieten, mal an und aus gehen und im nächsten Moment wie verrückt in den verschiedensten Farben blinken. Ausdrucksstark scheint das Licht mit dem zum Vorschein kommenden Mond um die Wette, liefert sich mit den abgefeuerten Drumbeats ein Battle.
Dass die Band längst eingespielt ist und seit Jahren sämtliche Festival- und Clubbühnen des Landes unsicher macht, merkt man nach wenigen Minuten an dem Umgang untereinander und mit den Fans. Daniel „Panzer“ Friedl stellt freudig fest, dass sich unter die Zuschauer „viele bekannte Gesichter!“ gemischt haben und Max Zimmer und Sebastian „Sibbi“ Hafner wechseln sich für einen Song in ihren Positionen ab, sodass Max an der Gitarre steht und Sibbi am Schlagzeug sitzt. Aber das reicht diesem nicht und so steht er kurzerhand während dem dritten Song, „Keep It Real“, auf einem Gitarrenkoffer auf den Händen der Menge und brüllt dieser herausfordernd seine Zeilen entgegen, während er aus seiner Gitarre die verschiedensten Töne hervorzaubert. Die Menge nimmt das euphorisch auf, klammert sich an dem Gitarrenkoffer fest und streckt ihm ihre Hände entgegen.
Spaßbremsen sind die drei Männer auf der Bühne auch nicht, was sich während des ganzen Sets zeigt. Da wäre einmal die Ansage „War jemand von euch schwimmen? In seinem eigenen Schweiß?“ oder das Cover von Billie Eilish’s „Bad Guy“. „Das haben wir im Backstage geschrieben, könnte gut werden“ ist der trockene Kommentar dazu. Auch das Publikum wird fleißig in die Show mit einbezogen: Als ein deutlich angetrunkener Kerl der Band immer wieder „Hey ho, let’s go“ entgegen johlt und sein Schild in Richtung Bühne hält, entscheidet die Band kurzfristig, ihn den nächsten Song einzählen zu lassen. Erwartungsvoll bildet sich ein großer Kreis um ihn – der nach wenigen Minuten sich lachend immer noch nicht aufgelöst hat, da der Typ aufgrund seines Pegels das Einzählen einfach nicht auf die Reihe kriegt. Auch Itchy nehmen das mit Humor und lassen am Ende seinen Freund einzählen, um die Menge durch den gewünschten Moshpit zu durchwirbeln. Aber das war noch nicht alles – einen der nächsten Songs performen Panzer und Sibbi stehend in der Menge, die sich auf den staubigen Boden gesetzt und Taschenlampen und Feuerzeuge gezückt hat. Und zu „Day In Day Out“ dann das typische Prozedere – „Wir legen jetzt alle unsere Arme um unsere Nebenmänner und -frauen und springen gemeinsam!“ Mit einer Einladung zum Merch verschwindet die Band dann nach einem ausführlichen Set, lässt sich ausführlich bejubeln. Dass hier trotz dem späteren Slot weniger Leute sind als noch zuvor bei Razz, bringt sie nicht aus dem Konzept.