Nichtigkeiten, die keine sind

Der Kopf lehnt schwer an der verdreckten Fensterscheibe der Berliner S-Bahn. Hinter geschlossenen Augen laufen immer wieder die letzten Stunden ab, ein flackernder Film ohne Stopp-Taste. Mit seiner zweiten EP „Pleaser“ schafft Pablo Brooks ein Lebensgefühl für den gedankenverzerrten Nachhauseweg, aber auch für die stroboverschwommenen Stunden im Club.

Der Opener „Boy Don’t Cry“ nimmt sich diesen Gegensätzen an. Stimme und Bass bilden den Anfang der EP, fahren kostenlose Runden im Gedankenkarussel. Eine Aspirin reicht nicht, um die Vorwürfe zu stoppen. Das erledigen die E-Gitarren im Refrain dafür – drehen die Perspektive um, reißen den Mund auf und schaffen Raum für ehrliche Konfrontation. So einen Song habe er noch nie zuvor gemacht, gibt er selbst zu.


„Boy Don’t Cry“ gibt einen ersten Geschmack der „Pleaser“ EP, mit der Pablo Brooks in sein selbst eingerichtetes Gedankenchaos entführen will. Irgendwo zwischen Zukunftsfragen und dem Wunsch, in der Gegenwart gefunden zu werden. Zwischen wirr gestapelten Umzugskartons und dem Freiheitsgefühl Berliner Luft. Zwischen der Euphorie, der ganzen Welt sein Herz zeigen zu wollen und sich dann doch hinter von der Gesellschaft eingerichteten Schränken verstecken zu müssen. Der 20-jährige Künstler gibt seiner Generation eine Stimme. Gibt der Lebensrealität queerer Heranwachsender Farbe, verleiht ihren Perspektiven Sichtbarkeit. Auf einer EP, die ihm zur Selbstreflektion dient, schafft er es ebenso, anderen Platz zum Reflektieren einzuräumen.

Eigenwillig findet Pablo Brooks seinen Weg durch die sechs Songs der EP. Er weiß genau, was er will – aber auf eine verletzliche Art dann doch auch irgendwie nicht. Wie soll man denn das schon wissen, wenn einem doch irgendwie alle Türen offen stehen? Wenn die ganze Welt ihre Arme ausbreitet und man sich plötzlich inmitten der Hauptstadt, wiederfindet? Pablo schafft es, dieses Gefühl zu greifen und in sechs Songs zu komprimieren.

„Pleaser“ sucht sich ihren Platz in der Welt, steht zwar immer noch zwischen den Stühlen, dafür aber fest auf den eigenen Beinen. Versucht nicht, die großen Fragen zu besingen, besinnt sich dafür lieber auf die Details. Auf die Details, die einen trotzdem stundenlang nicht schlafen lassen und trotz ihrer Nichtigkeit von außen betrachtet das ganze Denken einnehmen. Die in paar Jahren weggelächelt werden, jetzt gerade aber ablenken von dem, was in paar Jahren sein wird. Pablo Brooks schafft Raum für Zweifel – und für laute, eindringliche und herrische Angst. Angst, die über den Alltag bestimmt, droht, den Funken zu erlöschen. Aber sie in Songs zu packen macht sie greifbarer, macht sie angreifbar.

„So is this more than just a single night or is it just the rush?
Oh will you love me when we’re sober or will you regret every touch?
So baby do you see the fire, do you hear the feeling yet?
When we’re too drunk on all this love,
To see that we’re lost in the rush.”

Pablo Brooks – Rush

Sechs Songs lang hat das Herz Zeit, sich aus den Enttäuschungen der Vergangenheit wieder zusammenzupflicken. Sich selbst auch mal Blumen pflücken zu können. Pablo Brooks verarbeitet zwischenmenschliche Beziehungen und immer größer werdende Distanz, obwohl man sich körperlich gar nicht näher sein könnte. Laute Nächte und sich leise davon schleichende Morgen-danachs – vor allem erschafft Pablo Brooks Szenen, die nachempfunden werden können. Die Platz für das eigene Gedankenkino bieten, in all seinen Farben, aber auch mit all seinen Graustufen. Trostpflaster mit einem eingestickten Herz.

“We’re too young to let a good thing go to waste.”

Szenen, die live noch viel besser funktionieren. Pablo Brooks versucht, einen Safe Space zu erschaffen, um zusammen in kleinen Clubs den Gefühlen Raum einzuräumen und das rauszulassen, was bedrückt.

12.09.23 Wien (AT) – B72
14.09.23 Nürnberg – Club Stereo
15.09.23 Stuttgart – Im Wizemann (Studio)
16.09.23 Heidelberg – Karlstorbahnhof
19.09.23 Düsseldorf – zakk
20.-21.09.23 Hamburg – Reeperbahn Festival
22.09.23 Braunschweig – KufA Haus
23.09.23 Osnabrück – Kleine Freiheit
15.11.23 Amsterdam (NL) – Melkweg
16.11.23 Rotterdam (NL) – Rotown

Beitragsbild: Pablo Brooks (c) Nils Ladewig