Wa22ermann ft. Apsilon – Blaurot
Momentaufnahmen von durchzechten Nächten, müden Gedanken und verirrten Gefühlen. „Blaurot“ fängt sie und haucht ihnen mit düsteren Beats Leben ein. Gewohnte Szenen fliegen vorbei, werden ausgemalt mit ins Bewusstsein flimmernde Details, die aus dem Sekundenschlaf reißen. Zwischen der einsamen Freiheit von „die ganze Stadt gehört mir“ und der Anonymität lebloser Silhouetten machen sich Wa22ermann und Apsilon auf den Weg. Apsilon von Kreuzberg nach Moabit, Wa22ermann in die entgegengesetzte Richtung. Zwei Seelen, „tauschen einen Blick aus“. Fließen aneinander vorbei, begegnen sich aber nie. Gefangen in Gedanken unter der Kapuze, mechanische Schritte, der Blick gesenkt. Wechseln sich ab in einem Track, der ruhelos ständig in Bewegung bleibt und trotzdem nie ankommt. Wechseln sich ab in Parts, die die taube Einsamkeit der Stadt abbilden, die sich der erzwungenen Nachtruhe nicht beugen will.
„Tret auf einen toten Traum / Knecht unter meinen Füßen / Die liegen hier überall rum / ich hoffe das nimmt man mir hier nicht so übel“
pressure & release – Lie Ning
Loslassen, sich einlassen. Gefühle zulassen. Sie sich eingestehen, jemandem gestehen und hoffen, dass dieser jemand wiederum sich darauf einlassen kann. Versteht, sieht und respektiert. Mit samtigen Klängen lässt sich „pressure & release“ über Konflikte in Beziehungen aus, wenn Gefühle durch falsche Augen gesehen werden. Erzählt von dem Mut hinter dem Kommunizieren und davon, es nie wirklich gelernt zu haben. Zumindest nicht mit dieser bestimmten Person. Deutliche Gesten, hochgezogene Augenbrauen, laute Worte. Leise Widerworte, während im Innern ein zerstörerischer Sturm wütet. Trampelnde Elefanten mitten im Raum und weit und breit kein Dompteur, der die Zeichen deuten kann.
Der Sturm wird untermalt von einer sanften Unterwasserkulisse, die nicht ertränken, sondern in eine tröstende Umarmung hüllen will. Die Halt gibt und Anker sein kann. Die erinnert an all die Momente, in denen man voneinander lernen will. Wird eindrücklicher, gibt schließlich den Blick frei auf das, was im Streit so schnell in Vergangenheit gerät: „The truth is / I love you“. Lässt den Song enden im letzten Refrain, der nur von rücksichtsvollen Gitarrenakkorden begleitet wird und die warme Stimme von Lie Ning ganz alleine stehen lässt. Der das Herz öffnet und der anderen Person einen unverzierten Einblick auf die Wahrheit hinter den Verletzungen lässt.
Johnny vom Dahl – Verliebt in ihn
Alte Couch, ebenso alte Gewohnheiten. Sonntagvormittag in die Kirche, danach im Gemeindehaus zusammensitzen. Traditionen, an denen um der Tradition willen festgehalten wird. Warum denn verändern, wenn so doch alles gut ist. Aber ein genauerer Blick bringt die Bilder zum Wanken. Wirft das Licht auf die alten Möbel, verziert mit dem Gedankenstaub der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt Werte, die sich nicht mehr nur damit begründen lassen, dass es so eben geschrieben sei. Die Kirche gilt als überholt, immer seltener ist Glaube ein Thema für die jungen Generationen. Auch ich bezweifle, dass ich im Laufe der letzten Jahre je über einen christlichen Song berichtet habe.
Die Premiere feiert „Verliebt in ihn“ von Jonny vom Dahl, der sich selbst als den lässigsten Pfarrerssohn Deutschlands bezeichnet. Und mit dem Song den Staub abklopft und ersetzt durch gemütliches Kaminfeuer heimeliger Akzeptanz. Sexualität ist längst kein Thema mehr, das totgeschwiegen werden sollte – aber das trotzdem immer noch unter die Kirchenbank gekehrt wird. Anstatt anzuklagen besinnt sich Jonny vom Dahl auf das einfachste Argument, warum Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehe auch ihren Platz in der Kirche verdient haben: „Bin einfach so / einfach so verliebt / in ihn“. Er erzählt die Gefühle, die mit dem Outing eines Freundes zusammenhingen. Und schafft aus seiner Sprachlosigkeit über die Angst dahinter eine wertschätzende Melodie, die lächelnd Mut schenkt und aufmunternd die Hand reicht.
Beitragsbild: Wa22ermann und Apsilon (c) Lucia Jost