Klänge für den Weltfrieden

Wir fliegen durch die Straßen, tanzen federleicht. Laufen der Musik hinterher und verlieren uns im Moment. Leichter Schnee fällt auf unser Lächeln, Köln gehört für diese paar Stunden ganz uns. Aufgeregt schlägt unser geteiltes Herz, immer zum Takt der Musik. Immer mehr Menschen bleiben stehen, bis sich unser Halbkreis auflöst und wir uns zu den Klängen aus den Boxen schwebend verlieren. Versprochen, alles wird gut.

Mit dieser warmen Umarmung betiteln Blumengarten ihre zweite EP, mit der sie am 26.01 auf eine Mini-Tour durch Köln einladen. Auf Instagram einen Tag vorher angekündigt, mal schauen, wie‘s wird. Erster Stop Uni-Wiesen, 13 Uhr. Aus der Mensa fließen Studierende, machen kurz Halt, die meisten zieht es weiter. Trotzdem bildet sich ein immer größer werdender Halbkreis um Rayan und Sammy, die verlegen grinsend zugeben, dass sie nur so mit drei bis fünf Fans gerechnet haben. Später werden sie erzählen, dass sie gerne vorher alles durchplanen, aber bei diesem kleinen Abstecher durch Köln ziemlich viel ziemlich spontan durchziehen. Aber es funktioniert – und macht umso sympathischer.

Rayans samtig-weiche Stimme trägt über die Köpfe hinweg, lässt Radler*innen bremsen und die Zuschauenden lächeln. Die Wärme der Texte lässt die zitternden Finger vergessen und ganz weit weg träumen. Vorzugsweise nach Paris – der Stadt, die das Duo quasi über Nacht in die Indie-Musik-Herzen katapultierte. Erinnert ihr euch noch an das Reel Snippet von „paris syndrom“? Nein? Ich mich dafür aber umso besser – die Kamera fährt langsam auf die beiden zu, Rayan im Fokus. Mit einer Stimme, die schon nach dem ersten Wort für Gänsehaut sorgt und mit dem zweiten nicht mehr wieder loslässt. Dazu dann noch die nostalgischen Akkorde aus Sammys Gitarre. Mehr brauchen Blumengarten gar nicht, um zu faszinieren. Unter dem Post tummeln sich zahlreiche Namen der deutschen Musikszene, gratulieren zu dem Track und seinen Gefühlen. Darunter auch Christopher von AnnenMayKantereit, Vincent von Provinz und Nura. Wo auch immer diese Band herkommt, bekannt sind die beiden im Musiker*innenkreis bereits jetzt schon. Casper kommentiert mit „welthit“, Savvy mit „Wholesome as fuck! Das ist so ein Song, der den Weltfrieden bringen könnte“.

Mit der Zärtlichkeit, der Sanftheit und der berührend-schönen Kopfstimme schafft Ryan es in „paris syndrom“ Träume lebendig werden zu lassen. Satte Landschaften, dunkle Waldstriche, knisterndes Kaminfeuer. So pur, so verziert mit Gefühlen von Wehmut bis zu Sehnsucht. Kribblige Liebe, noch kribbligere Geständnisse. Im Song kommen mit dem letzten Refrain noch ausbrechende Synthies dazu, auf den Uni-Wiesen bleibt es bei den leisen Gitarrenakkorden. Die der Stimme von Ryan Flügel verleihen und die Wahrheit in seinen Worten mit Wärme untermalen. Bringen den nebligen Himmel zum Strahlen und die Gesichter zum Leuchten. Auch wenn Sammys Finger jetzt schon erfrieren und bereits eine Saite gerissen ist – der Stimmung kann auch das kalte Wetter nichts anhaben. Wird in lange Schals gewickelt, um das Zittern zu stoppen.

Überraschend schnell ist die halbe Stunde vergangen, das Ende des Sets wird durch grinsenden Applaus eingeläutet. Der Halbkreis löst sich auf, die Masse verschiebt sich in kleinere Runden, immer mal wieder bilden sich kleine Trauben erst um den Menschen mit dem Merchbeutel, dann um Sammy und Rayan. Viele Freunde und Bekannte haben aufmerksam gelauscht und beglückwünschen mit langen Umarmungen und aufwärmendem Strahlen. Bis sich die kleinen Kreise auch auflösen und sich vereinzelt auf den Weg zur Zülpicher Straße machen, wo es in nicht einmal einer Viertelstunde weitergehen soll. „paris syndrom“ schallt weiterhin durch die Straßen, diesmal durch die Boxen der Fans mit farbenfrohen Jacken und mit Katzenohren auf übergroßen Kapuzen verzierten Haaren. Leichter Schnee verfängt sich in ihnen, macht sich mit uns auf den Weg und verlässt uns auch nicht vor der Brücke, neben der der nächste Gig stattfinden soll. Wir sind einmal zu weit gelaufen, bis durchs Handy das Kommando zum Umdrehen aufrief. Von den Uni-Wiesen bekannte Gesichter stoßen zu uns, aber auch viele neue bleiben stehen. Der Kreis ist hier mangels Gehwegplatz deutlich kleiner, der Straßenlärm durch die vorbeirauschenden Autos deutlich lauter. Aus den Straßenbahnen verfolgen uns neugierige Blicke. Die Box wird platziert, kurz darauf erklingt wieder Rayans Stimme, untermalt durch Sammys Gitarrengriffe.

Ein Schleier legt sich über den Straßenlärm, damit das Ohr intensiver Zugang zu den Songs finden kann. Für den besseren Blick ziehen sich Zuschauende die Mauer hoch, lassen gelassen ihre Beine baumeln und kriegen hin und wieder eine der zahlreichen Kameras hochgereicht. Oder vielleicht auch einen der Camcorder, die den VHS-Look in die Szenerie zaubern. Bei diesem Set bleibt besonders „rosa“ hängen, der gerade noch nicht gespielt wurde und auch noch nicht releast ist. Aufgrund des Feature-Rap-Parts läuft er über die Box und fließt mit seinen tanzbaren Beats durch den kalten Körper. Anfangs noch zögerlich, aber schließlich immer selbstsicherer bringt er Bewegung in die Menge.

Gut eine Stunde später, vor der Sankt-Michael-Kirche auf dem Brüsseler Platz, fühlt sich „rosa“ wie Magie in der Luft an. Hat sich bereits warm gemacht mit den Zuschauenden und sich erfolgreich in ihre Herzen geschlichen. Hier performen Blumengarten auf den Treppenstufen der Kirche, machen Witze über Religion und geistliche Führungspersönlichkeiten. Aber trotzdem ist dieses Set mit einer gewissen Ehrfurcht vor den hohen Mauern verbunden, die meterhoch hinter den beiden Musikern aufragen. Der Halbkreis hier umfasst den ganzen Brüsseler Platz, erstreckt sich auch zwischen den Grünanlagen mit neugierigen Eltern mit Kinderwägen. Ein Kind fährt mit seinem Roller hinter der Menge herum, schließt sich dem begeistertem Applaus nach jedem Song an. In einem knallblauen Ganzkörper-Skianzug tanzt Moglii in der ersten Reihe mit, kriegt dafür das neue Shirt zur EP geschenkt.

Trotz der Ehrfurcht vor den hohen Mauern ist hier die Stimmung wesentlich lockerer als während den beiden Gigs zuvor, wandelt sich bei „rosa“ um in Ausgelassenheit. Viele Stimmen füllen bei „paris syndrom“ die Luft, inzwischen können auch die anderen Songs wesentlich sicherer mitgesungen werden. Träume scheinen Wirklichkeit werden zu können, das Lächeln weicht nicht mehr von den Lippen. Schon mehr als zwei Stunden dauert diese kleine Tour und so langsam festigt sich das Band zwischen den Zuschauern und dem Duo. Bekannte Gesichter werden lächelnd begrüßt, irgendwie scheint jeder jeden zu kennen. Aufbruchstimmung liegt in der Luft und das Gefühl, wieder 16 zu sein. Den Alltag liegen lassen zu können für ein Erlebnis jenseits der Comfortzone, das heimliche Sehnsüchte stillt und ganz neue, aber leichtere, hervorruft. Hier fühlt sich leben nach ganz viel Glück an, die hinter den Wolken versteckte Sonne scheint im Herzen weiter.

Noch intimer wird es dann um 16 Uhr vor den Domtreppen. Wir haben Blumen mitgebracht und sind nicht die einzigen. Überpünktlich sind hier noch einmal wesentlich mehr Menschen versammelt, Fans tragen Shirts bedruckt mit einem gemeinsamen Selfie mit dem Duo. Wir werden die Domtreppen wieder nach unten geschickt, bis zu dem Schild, das Straßenmusik erlaubt. Deutsche Bürokratie eben. Hier hat sich der höfliche Abstand mit dem Halbkreis-Konzept verabschiedet, nur die an der Laterne geparkten Fahrräder sorgen für ein wenig Abstand. Aber sonst hätte man die beiden auch kaum verstanden, die hier ohne Verstärker auftreten müssen. Zur Unterstützung werden die Zeilen dafür so laut wie möglich mitgesungen, davongetragen in den nebligen Nachmittag und zum Dom hin, dessen Türme sich in der Wolkendecke verstecken. Rayans Stimme bringt Farbe in die Nebelwand, Sammys Akkorde bringen sie zum Auflösen. Wenn das Wetter sich beeinflussen lassen würde, würde im Refrain von „pieces“ die Sonne hervorbrechen. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist, doch leider nahmst du viel zu viele pieces.“ Zwischen Liebeskummer und ernüchternder Realitätsaufnahme bleiben die Songs trotzdem immer sanft und verspielt. Und ich muss Savvy ergänzen – die Klänge des Duos haben das Potenzial, den Weltfrieden wieder herzustellen.