Bisschen angerotzt, aber warm – Michèl von Wussow im Interview

Die Sonne hat sich schon längst zurückgezogen, tiefe Wolken hüllen das Dunkelblau des Himmels ein. Vor dem schüchtern angeleuchteten Schlachthof glimmen Zigaretten gegen dunkle Jacken, leises Gelächter zieht durch die Andächtigkeit des Abends. Die Toiletten liegen auf der rechten Hand, der Verkauf der Resttickets zur linken. Geradeaus geht es durch eine schmale Tür rein ins Innere des backsteinbekleideten Gebäudes, in dem heute das Konzert des Künstlers Pohlmann. stattfinden soll. Als Support hat er Michèl von Wussow mitgebracht, den ich heute schon zum Interview getroffen habe. Den ersten Teil eines Spaziergags durch Bremens Nachmittagsgefühle könnt ihr hier nachlesen.

Der Schlachthof ist wenige Minuten vor Beginn bereits gut gefüllt, plaudernde Gesichter erstrecken sich sowohl im Innenraum als auch auf dem großzügig gefächerten und mit breiten Stufen zum Sitzen versehenen oberen Bereich. Die Kesselhalle zeigt sich von ihrer besten Seite, applaudiert vorfreudig, als Michèl die Bühne betritt. Und trotz Startkomplikationen verliert das Publikum nicht an Geduld, im Gegenteil – wohlwollender Applaus begleitet jeden erfolgreichen Schritt zum richtigen Ton. Kurz spricht der junge Musiker ein verhaltenes „hallo?“ zu Testzwecken in das Mikrofon, schließt seine Augen und legt dann mit den ersten Zeilen von „Hauptsache du bist glücklich“ los, die sich schwungvoll durch die Menge katapultieren. Versinkt ganz in dem Song, lässt einen Film – gedreht natürlich analog und mit zuckenden Lichtflecken – vorm inneren Auge ablaufen und taucht mit dem Applaus wieder grinsend auf.

„Wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, gebe ich immer 150%.“

Auch, wenn er nur alleine auf der großen Bühne steht, schafft es Michèl, mit unvergleichlicher Energie zu begeistern. Immer wieder bringt er das Publikum zum Lachen und verschenkt eine große Portion Lebensfreude gleich mit. Die Songs sind nur mit Akustikgitarre zwar minimalistischer als die für volle Bandbesetzung produzierte Platte, verlieren deswegen aber keineswegs an Kraft. Werden dadurch sogar noch ausdrucksvoller in Szene gesetzt und prachtvoll glänzend ins Scheinwerferlicht gestellt. Die kleinen akustischen Ausrufer zwischen den Zeilen lassen die Menge grinsen und jubeln.

Später erzählt er mir, dass es ihm keine Angst mache, da ganz alleine auf der Bühne zu stehen. „Ich habe Bock, die Leute anzuheizen und zum Mitsingen anzuregen.“ Und genau das schafft er auch mit dem Setabschluss „Falls ich träum könnts realer nicht sein“. Breit lächelnd singt sein Publikum – ja, sein Publikum, er hat es definitiv für sich gewonnen – die Zeilen mit, verliert sich in ihrer Leichtigkeit und gesteht sich gemeinsam ein, das Träumen nie wieder verlernen zu wollen.

„Da brennt ein absolutes Feuer in mir, Mukke zu machen.“

Schon mit 13 fing Michèl an, Musik zu machen – und nicht nur im Kinderzimmer für sich, nein. Jede freie Sekunde nutzte er, selbst zur Schule brachte er seine Gitarre mit und griff zwischen jeder Unterrichtsstunde in die Saiten. Dass er seine Mitschüler damit wohl das ein oder andere Mal genervt haben könne, nahm er schulterzuckend im Kopf. Viel wichtiger war – und ist – immer die Musik. Mit der Straßenmusik begann er, sich ein Gehör zu verschaffen, damals noch auf Englisch. Hat in der Schülerbigband gesungen, wusste aber eigentlich schon immer, dass das eben nichts für immer ist. Dass er stattdessen irgendwann die Richtung einschlagen wolle, dessen Pfade er mit seinem neuen Debüt-Album „Angst gegen Vertrauen“ derzeit breit tritt. Trotzdem könnte er sich nicht für die jetzigen Konzerte oder für die Straßenmusik entscheiden. Vielmehr war die Straßenmusik wegweisend und lachend beschreibt er die Ungläubigkeit, als er es mit 13 geschafft habe, die Leute zu bewegen und mit zwei Freunden und einem Gitarrenkoffer an einem Tag 200 Euro zu verdienen.

„Ich habe das Geschenk bekommen, hier Musik zu machen. Ich liebe es, Konzerte zu spielen, aber trotzdem war die Straßenmusik prägend.“

Wir sitzen auf der Bierbank am Merchstand. Pohlmann spielt nebenan lautstark sein Set. Hinter uns sind T-Shirts aufgehängt, vor uns auf dem Tisch liegen aufgefächert die verschiedenen Texte und Artworks, die es mit der Platte zu kaufen gibt. Die Besonderheit dabei: was aussieht wie ein Vinylcover, enthält in Wirklichkeit statt einer Platte handgeschriebene Zeilen, alle Songtexte und exklusive Einblicke in Entstehungsprozesse und Gefühle hinter den einzelnen Songs. Die Idee dahinter sei gewesen, die Besonderheit einer Vinyl an sich wertzuschätzen, aber trotzdem mit einer Zeit mitgehen, in der das Augenmerk auf Streaming liegt.

Ich knipse ein Polaroid von ihm und wir reden über die Ästhetik hinter den Artworks. Alles ein bisschen Vintage, mit dem Camcorder aufgenommene Videos statt hochauflösende Produktionen, analoge Bilder statt Touch-Display. Dieser Anspruch zieht sich durch seine gesamte Diskografie. „Polaroids machen das Ganze so schön nahbar.“ Auch die Farbwelt ist kein Zufall – sowohl in seiner Outfitauswahl als auch in der Kunst – Michèl beschreibt sie selber lachend als „bisschen angerotzte, warme Farben.“ Aber das passt. Die Nähe und Ehrlichkeit ziehen sich durch jeden Song und dann ergibt es nur Sinn, das auch visuell nach außen zu repräsentieren. Passt zu der norddeutschen optimistischen Lebensphilosophie, die er in seiner Kindheit in Schleswig-Holstein gewonnen hat und die sich immer wieder in seinem warmen Gelächter und dem lockeren Dialekt äußert. Auch seine Stimme beschreibt er als angerotzt – sie wird in den Songs nicht geradegebogen und gerade live kommt immer wieder all die Rauheit und Ungeschliffenheit zum Vorschein.

Immer wieder kommen Konzertbesuchende vorbei, um ihm zu dem tollen Auftritt zu gratulieren. Glücklich steht er jedes Mal auf, um ein breites Lächeln und ein ehrliches „Daaankeschön!“ zu verschenken. Dass seine Musik so gut ankomme, hätte er sich nicht träumen können. „Ich bin schon happy, wenn’s Leuten nicht egal ist.“