Harmonie und Hoffnung statt Bierdusche und Beinbruch

Endlich wieder Konzerte heißt es für mich nach monatelangem Hoffen und unzähligen Live-Streams, die zwar eine schöne Alternative bieten, die Atmosphäre eines Konzertes aber nie ersetzen werden. Losgehen soll es am 10. Juli mit Walking On Rivers, die den musikalischen Auftakt der „Juicy Beats Park Sessions“ bieten.

Die zweimonatige Reihe mit verschiedensten Künstler*innen, abwechslungsreichem Programm und Überraschungen für groß und klein hat im Westfalenpark in Dortmund ihr Zuhause gefunden und kann hier konform mit den aktuellen Hygienemaßnahmen durchgeführt werden. Kleine und bunte Stühle, die mit Sicherheitsabstand in zweier-, dreier- oder vierer Gruppen aufgestellt sind, schmücken die große Fläche und werden durch gemütliche Sonnenliegen ergänzt. Im Vorhinein bestand auch die Möglichkeit dazu, eine Zehnerlounge mit den besten Freunden zu buchen, die mit einem Sonnenschirm und gepolsterten Sitzecken sehr gemütlich wirkt.

Nicht nur die Location, sondern auch das Wetter spielt der Dortmunder Band in die Karten; denn während über den ganzen Tag verteilt immer wieder düstere Wolken den blauen Himmel getrübt haben, ziehen sich Bedenken und Dunkelheit vor Konzertbeginn zurück und wärmende Sonnenstrahlen kommen verhalten zum Vorschein. Passend dazu macht die auf dem Platz spielende Playlist gute Laune mit Klassikern wie „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“ und „Break My Stride“, aber auch der Song „All My Friends Got Time“ der ebenfalls aus Dortmund stammenden Band Drens dudelt aus den Boxen.

Der Platz füllt sich rasch und so sind pünktlich zum Konzertbeginn die meisten Stühle besetzt, während sich auf den Liegen lachende Gemüter breit machen und die 10er-Lounges mit aufgeheizter Stimmung erfüllt sind. Verlockende Essens- und Getränkestände sowie ein kleiner Merchstand versüßen die Wartezeit. Die Atmosphäre prickelt, der Geruch von Regen liegt in der Luft und noch wirkt es surreal, dass in wenigen Minuten eine Band auf der Bühne auftreten wird. Aber bevor das Konzert losgehen kann, wird auf das Hygienekonzept aufmerksam gemacht, welches während der ganzen Veranstaltung sicher eingehalten werden kann.

Gelbe, rote, blaue und lila Lichter blinken abwechselnd und beleuchten die Bühne, als die fünf sehnlich erwarteten Musiker unter lautem Applaus auf diese treten. In den Strudel der Musik werden Fans und Freunde gezogen, während die Refrains zu dritt gesungen werden und die Instrumente stimmungsvoller erklingen, als sie auf Platte zu hören sind. Das verhaltene Lächeln auf den Lippen der Band rührt von Monaten ohne Live-Musik. Ganze Steine voller Angespanntheit und Ungewissheit über die Veranstaltungen in diesem Jahr fallen vom Herzen und zumindest im Takt klatschen geht an den Stuhl gebunden gut. Ein Moshpit ist selbstverständlich nicht machbar, aber ist zu den eher zurückhaltenden Klängen auch gar nicht gewünscht.

„Macht euch ein bisschen locker, es wird richtig krank abgehen!“

Für mich sind besonders die Harmonie untereinander und das Zusammenspiel miteinander die Highlights des Abends, die ich so sehr vermisst habe. Auch, wenn ich die Band vorher noch nie live gesehen habe, kommt es mir so vor, als würde die Musik direkt in meinem Herzen ankommen und dort wachsen; als wäre der Kern schon vor langer Zeit eingepflanzt worden und hätte nur auf diesen Moment gewartet, um für Bauchkribbeln und Wärme von Kopf bis Fuß zu sorgen.

Zwischen ruhigen und kraftvollen Songs erzählt Sänger David Anekdoten aus der Bandvergangenheit; so sorgt der Fakt, dass er früher in einer Hardcore-Punkband Schlagzeug gespielt hat für vereinzelte Lacher, da die Musik der fünf Welten von diesen Genres entfernt stattfindet. Würde man sie in eine Schublade stecken müssen, wäre es wohl Indie-Folk, für mich klingt aber auch noch Soul mit, der mit rockigem Einfluss und betont harmonisch verziert ist.

Der nächste Song nach besagter Ansage beginnt dann tatsächlich auch rockiger, weist aber immer noch den gleichen verträumt-frühlingsbehafteten Sound auf. Erinnert an die Sonnen, die man im Kindergarten in jede Ecke gemalt hat, an Picknickdecken und Sand in den Schuhen, an Unbeschwertheit und daran, einen Nachmittag einfach mal die Augen zu schließen und die Welt vorbeiziehen zu lassen.

Auch meinen Liebling „Lonely Man“ performt die Band, begleitet von einem Sonnenuntergang im Hintergrund und vielen Stimmen, die sanft über den Platz hallen. Obwohl der Abstand und die Maskenpflicht außerhalb der eigenen Sitzgelegenheit lästig sind, erfüllt der Abend Herzen und lässt Hoffnung keimen, dass alle zusammen einen Weg gefunden haben, das Beste aus der momentanen Situation zu machen. An dieser Stelle muss auch noch einmal herzlichst Dank ausgesprochen werden an das FZW, Kittball, Oma Doris, Domicil, Bring Your Own Beats, TUK TUK, Dortmund.Macht.Lauter., Silent Sinners, die Märchenbühne und natürlich dem Juicy Beats Festival, die es zusammen schaffen, auch zwischen 1,50m Abstand eine Atmosphäre zu schaffen, die begeistert.

Für mich ist besonders wichtig, dass mit den vielen bunten Stühlen und liebevoll umgesetzten Maßnahmen auch dieses Konzert so sicher wie möglich stattfinden kann. Natürlich ist die Bewegungsfreiheit eingeschränkt und ich kann glaube ich für uns alle sprechen, dass Sitzkonzerte Open-Airs Arm im Arm, mit dem Herzschlag des anderen und dem Gesang der Menge im Ohr, nicht ersetzen können. Aber der Vorteil an der Bestuhlung ist, dass die Musik individuell noch viel mehr genossen werden kann. Der eigene Geist hat genug Zeit, die verschiedensten Eindrücke zu verarbeiten, ohne dem Sog des nächsten Moshpits nicht entgehen zu können oder biergeduscht auf die Toilette flüchten zu müssen. Dieses Konzert hatte trotz dem Abstand eine große Spur von Intimität, von Gemeinschaft und Hoffnung.

Während die Stimmung immer lockerer und Sehnsucht gestillt wird, bewältigen Walking On Rivers jede Harmonie, die sorgfältig in den vielschichtigen Arrangements verbaut sind und können besonders bei dem plötzlichen Instrumental in „Wherever I Go // You Follow“ überzeugen, das mit einem Basssolo eingeleitet und dann funky außerhalb der Genrekonventionen existiert. Geschickt verbinden sie zwei Hälften und schaffen zeitgleich eine Art sicheren Rückzugsort für diejenigen, die sich in dem radiogeflutetem Pop nicht wohlfühlen können. Mit dem sich ständig wiederholendem Refrain und den herausfordernden Klängen erinnert der Song an das ungeplante Entdecken eines Baumhauses mitten in der Wildnis. An ein Baumhaus, in dem zwei Seelen miteinander verschmelzen können und sich aufgrund der eng aneinander gerückten Wände die geheimnisvollsten Geheimnisse erzählen können.

Zum krönenden Abschluss hin covern die Dortmunder den Song „Helplessly Hoping“, stellen sich dafür an die Kante der Bühne und lassen Harmonie und Kraft durch den ganzen Westfalenpark schallen. Der alte Song verstärkt die Wirkung, dass sich der Abend anfühlt wie das zufällige Wiedersehen eines Freundes, der vor vielen Jahren weggezogen ist und nun doch unverhofft vor der eigenen Haustür steht, mit einer Rose in der Hand und einem Kasten Bier versteckt hinter dem fröhlich bedrucktem Shirt. Fühlt sich dann weiter an wie der Abend, der nach Jahren wieder zusammen verbracht werden kann und der den Raum ausfüllt mit Gelächter über damalige Missgeschicke, mit zu schnell runtergeratterten Geschichten und staunenden Augen, weil man unabhängig voneinander mehr gewachsen ist, als dass man es sich alleine bewusst war.

Doch auch dieser schöne Moment muss vorbeigehen, der Freund muss irgendwann verabschiedet und nach draußen begleitet werden, aber ich bin mir sicher, dass jeder Besucher im Herzen einen kleinen Funken dieser Atmosphäre fortan mit sich tragen wird.

Fotografiert und geschrieben von Verena Schäfer und Mihanta Fiedrich. Vielen Dank an das Juicy Beats Festival für diese Möglichkeit, die so schnell nicht vergessen wird!