Wir schreiben den 11. Oktober 2019, einen kalten Freitagabend im Herbst. Gemächlich trudeln immer mehr Leute in die kleine Astra Stube in Hamburg. Die schon jetzt brechend voll ist – anders als alle anderen von mir bisher besuchten Clubs ist diese in die Länge statt in die Breite gestreckt, was es fast unmöglich macht, nach hinten auszuweichen. Kaum Platz und sich rücksichtslos durch die Menge drängelnde Leute lassen mich stückweit unwohl fühlen, aber auch das nimmt mir nicht die Vorfreude auf das kommende Konzert, für das wir alle mindestens drei Stunden angereist sind. In Hamburg haben wir uns schon stückweit umgeschaut, fasziniert von dem Andrang in St. Pauli, den Graffitis vor unserer Hosteltür und dem geschäftigem, aber doch lockerem Umgang miteinander in der Straßenbahn.
Pünktlich legt der heutige Support aus Hamburg, Hobo Thirteen, direkt los. Schlagartig verstummen die Gespräche und die Gesichter wenden sich interessiert Richtung Bühne. Sänger und Gitarrist Dennis erklärt nach dem ersten, energiegeladenen Song, das kurzfristig ein Bandmitglied abgesprungen ist. Sie konnten aber einen Ersatz organisieren, der sich als Maddn vorstellt und hier den ersten Liveauftritt hinlegt. Im Zuge dessen mussten die Hamburger die Songs noch einmal komplett neu überdenken, das erste Mal muss auch Schlagzeuger Ole ans Mikrofon.
Hätten sie nichts davon gesagt, wäre es mir gar nicht aufgefallen – so meisterhaft integriert sich Maddn und so fließend laufen die Übergänge ab. Besonders der Wechsel des Gesangs von Ole und Dennis gefällt mir sehr gut. Die helle, gefühlsvolle Stimme von Dennis mischt sich sauber mit der klaren Stimme von Ole, der nebenbei weiter konzentriert auf das Drumset eindrischt.
Die Hamburger haben bereits ein Album herausgebracht, das stolz den Titel „Take a Minute Spend an Hour“ trägt. Dieses beinhaltet im Wechsel energiegeladene und gefühlsvolle Passagen, behält aber durchgängig seinen rockigen Touch und ist gefüllt mit stimmungsmachenden Instrumentals. Live kommen die verschiedenen Songs groovig, aber auch mit einer gemütlichen Wohnzimmermanier rüber, besonders der genau angepasste Rhythmus im Song „40 %“ fasziniert mich. Für den die Band auch noch Flöten auspackt. Auch wirkt der Sound auf der Bühne basslastiger, Bassist Jona hat merklich Spaß an seinem Instrument.
Unterhaltsam spielen die Hamburger sich weiter durch ihr Set. In einem der letzten Songs wird dann die Band vollständig vorgestellt; jedes Bandmitglied legt eine kleine Performance hin, baut mit diesem Gerüst den nächsten Song auf.
Um 22 Uhr sind dann Youth Okay aus München dran. Die Spielzeit wurde auf eine Stunde begrenzt. Direkt legen die sechs Musiker direkt mit „Turn Around“, dem letzten Song des vor genau einer Woche releasten Debüts „Turns“ los. Sänger Daniel legt mit den ersten Zeilen vor, kurz darauf setzten die anderen Bandmitglieder ein. Damit wird der Stimmung direkt von Anfang an ein energiegeladenes Fünkchen eingehaucht, das sich im Laufe des Abends noch entflammen wird. Beim Refrain werden für die nächste Stunde alle Besucher mitgenommen, die Zeilen fliegen wild umher, umgeben von den ungewöhnlichen Bläserklängen, die Youth Okay zu dem machen, was sie sind. Ohne Vorwarnung energiegeladen und fordernd direkt in den Köpfe der Anwesenden. Als Alternative Rock BrassFX beschreiben sie ihre Musikrichtung. Trompete und Posaune werden durch Effekte verändert, behalten aber trotzdem das menschliche Feeling, das Youth Okay so gut steht. Dadurch können sie auf Synthesizer verzichten, aber trotzdem einen satten, vollen Klang erreichen. Besonders fasziniert, wie Leo an der Posaune und Krischtn an der Trompete ihren Sound selbst regeln – während sie spielen, wird immer wieder an den Effekten herumgedreht und der Sound passend zum Song reguliert. Und wenn sie gerade nicht mit spielen an der Reihe sind, tanzen die beiden auf der Bühne herum oder singen gefangen in der Musik die Zeilen mit. Der nächste Song „World On Fire“ startet aber direkt mit den Bläsern, die das Publikum gehörig einheizen. Immer wieder schallen begleitende, unterstützende Gesänge durch den Raum, setzten die sarkastisch vorgetragene Message im Kopf fest. Dazu der fordernde Blick von Sänger Daniel, der sich festbrennt.
„Quite A Lot Alone“ wird angestimmt, das mich schon auf Platte durch seinen Aufbau fasziniert hat. Was schließlich live nicht enttäuscht wird – ein flächiger, lauter Klangteppich umrahmt den emotionalen Gesang. Besonders das treibende Schlagzeug und der blechernde Klang durch Becken und Bläser dringt ins Gehör. Im Pre-Chorus nehmen sich dann Instrumente wie Gesang zurück, die Spannung zum Refrain wird fast unerträglich aufgebaut und in diesem dann explosionsartig freigesetzt. Als dann schließlich der erste Moshpit entbrandet, sind die Hemmungen seitens der Besucher gelöst, die zuvor noch ein bisschen zurückhaltend lediglich herumgewippt sind. In den nächsten Songs wird getanzt, gesprungen und sich im kleinen, aber feinen Moshpit verausgabt. Der die anderen Besucher zwar stückweit abschreckt, aber trotzdem nicht daran hindert, sich auf die Musik zu konzentrieren.
Dann, ein Cover – „Beggars“ soll es sein. Hier wird besonders die Trompete hervorgehoben, die dieses Mal unverändert zum Einsatz kommt. Dass auch das bei den Besuchern ankommt, zeigt, wie tolerant diese sind.
Der nächste Song entpuppt sich als „Static Air“. Auf dem Album ist er mir nicht besonders aufgefallen, aber hier sticht er durch ein starkes Klanggerüst, das nicht leicht zu durchringen ist und dominante, schwere Melodien hervor. Die im Refrain durch feine Elemente verziert werden, auch das stützende Gerüst wird hier leichter. Das in einem vor Kraft strotzendem Instrumental endet, unterstützt durch den sich wiederholenden, dominanten Melodieverlauf in den Bläsern, der noch lange im Ohr bleibt. Die Kraft zieht sich Youth Okay aus schweren Akkordabfolgen, den fordernd gespielten Schlagzeugbecken und den euphorischen Melodien der Bläser. Das alles untermalt durch Zeilen, die den Hörer in einen Käfig aus Schwere fesseln.
„Suppoded To Do“ wiederrum ist wesentlich ruhiger als der vorherige Song, ein tragendes Gerüst schwebt trotzdem schwer durch den Raum. Ein weich gesungener Chor unterstützt den fragenden und verzweifelten Gesang durch die immer wieder aufgeworfenen Fragen – „What am I supposed to do? What am I supposed to feel?“ in die das Publikum direkt mit einsteigt. Zusammen leitet der Chor in den immer aggressiver und verzweifelter werdenden Gesang über, der in einem leeren Schrei endet. Grenzen verschwimmen zwischen Besuchern und Band, zwischen Verzweifeln und Wissen, zwischen Fragen und Antworten. Ein taubes, machtloses Gefühl legt sich auf das Herz, neue Fragen werden aufgeworfen und in „Mouse in a Maze“ verworfen und durch neue abgelöst. Die Setlist ist stimmig, denn in diesem Song wird die verzweifelte Rat- und Rastlosigkeit durch das Gefühl von Hoffnungslosigkeit abgelöst. Das allerdings dem, was das Ohr zu hören bekommt, widerspricht – denn das sind laute, ehrliche Klänge. Besonders der Chor am Anfang wirkt warm. Mit geschlossenen Augen fühle ich mich wie schwerelos in einer fremden Galaxie, mein einziger Rückbezug zur Wirklichkeit ist die Musik, die Youth Okay abliefert.
Beinahe fühle ich mich verloren in der alles verschluckenden Musik, bis die nächsten Töne einsetzten – „Wings“. Ein Song, der zu Naked Superhero Zeiten geschrieben wurde, mit denen die Band abgeschlossen hat. Jetzt ist Youth Okay dran – umso glücklicher bin ich, diesen Song zu hören, der der einzige war, den ich von Naked Superhero kannte. Leise setzt die Melodie ein, beschert mir eine Gänsehaut. Der Sound klingt erwachsener, gereifter als damals aufgenommen, was ihm verdammt gut steht. Die Message bleibt die gleiche. „But your wings, they don’t get older.“ Gefühlsvoll breitet der Song seine Fittiche aus, nimmt die Konzertbesucher schützend unter diese. Tröstend gelangen die gefühlsvoll gesungenen Zeilen unter diesen Schutz, setzten mir ein Fünkchen Hoffnung in die Brust. Wie eine tröstende Umarmung, nach der man sich so lange gesehnt hat. Und ich merke, dass der Song alles ist, was ich gerade in meiner Verlorenheit und Unsicherheit gebraucht habe. Den Menschen um mich herum scheint es gleich zu gehen – ein verträumtes Lächeln hier, glückliche Augen dort.
Die gefühlsvolle Atmosphäre wird durch die geballte Ladung Energie in „The One To Change“ abgelöst. „If you burn for something, you can reach the stars!“ Die starken, harmonisch bis auf den letzten Schliff durchdachten Arrangements kommen auch hier wieder zum Ausdruck. Der Song kommt live zwar nicht so energiegeladen wie auf Platte rüber, aber auch hier schwappt die Energie nur so auf den Hörer rüber. Schlagzeuger Leander kriegt einfach nicht genug davon, sich an den Becken und Trommeln zu verausgaben. Aber auch Flo an der Gitarre und Jakob am Bass geben dem Song seine kräftige Note, runden das Gerüst ab. Flo wirft immer wieder feine Melodien ein, während die tiefen Töne aus Jakobs Bass die Grundlage für die anderen Instrumente liefert. Hierbei wird er durch Leo an der Posaune unterstützt.
„Nur gemeinsam ist das ein Youth Okay Konzert!“, stellt Daniel klar und bedankt sich im gleichen Atemzug dafür, dass so viele Leute gekommen sind, die die Astra Stube brechend voll machen. Bei dem Song „We Are“, auch ein „Überbleibsel“ aus der Zeit mit Naked Superhero, begibt er sich in die aufgeheizte Menge, performt in der Mitte der Besucher den Song, die sich nur so an ihn drängen. Aber er nimmt das mit Humor. Dieser Song unterscheidet sich grotesk von der neuen Richtung, die Youth Okay eingeschlagen wird. Ist wesentlich euphorischer, besonders die Bläser und die laufenden Melodien nehmen den Raum ein und mir wird klar, was Youth Okay damit meinen, dass sie aus Naked Superhero rausgewachsen sind. Aber nichts desto trotz hat die Band Spaß an diesem Song.
Die fröhlichen Hymnen werden durch schwere Klänge abgelöst, der Song nennt sich „Left Untold“ und bildet einen starken Kontrast zu dem vorherigen. Mit Youth Okay schreiben die Münchner ernste, an die eigene und an die Nase der anderen fassende und hinterfragende Songs. Ernste Themen halten aber auch nicht davon ab, einen euphorischen und kräftigen Sound zu schaffen, der dazu aufruft, sich laut zu machen. Was die Sechs auf der Bühne sehr gut können – sei es in Form von lauten Chören oder lauten Instrumentals. Die Chöre unterstützt das teilweise sehr textsichere Publikum mit voller Überzeugung, es macht fast den Eindruck, dass dieses persönlich am Schreibprozess beteiligt war und die Aussagen genauso unterschreiben kann.
Der letzte Song, „What’s It All About“, bringt die Menge noch einmal so richtig in Bewegung. Wie die meisten Songs auf dem Album fängt er zurückhaltend an, um dann kurz darauf im Refrain zu explodieren. Der erste Refrain funkioniert wie ein Teaser auf den restlichen Song, denn in der darauf folgenden Strophe nimmt sich die Band wieder zurück, um dann danach weiter aufbauend immer wieder einen drauf zu geben. Seitens des Publikums wird das genauso aufgenommen, wie die Band ihnen die frischen Songs in die Hände legt. Emporgereckte Fäuste, herumfliegende Haare und nach mehr verlangende Augen verdeutlichen die Gefühlslage der Besucher, die nicht weniger euphorisch ist als die der Band auf der Bühne.
Doch auch ein Youth Okay Konzert vergeht viel zu schnell und muss ein Ende haben – der Song „Get Up“ soll es heute sein, nachdem die Band einen symbolischen Abgang inszeniert hat und durch aufbrandende Zugabe-rufe mit dem Song einsetzt. Noch ein letztes Mal macht man sich zusammen laut, die letzen Energiereste werden herausgeschleudert und fast wehmütig gibt man den letzten Applaus. Ja, durchaus ein würdiger Song zum krönenden Abschluss – „Get up, get up, get up, do you feel that rage is in the Air?“