Bevor wir uns auf die Vorderbank quetschen können, muss Daniel Fahrländer erst einmal eine Menge Pfandflaschen vom Mittelsitz räumen und Jakob von Andrian freut sich darüber, auf dem Fahrersitz sitzen zu dürfen. Daniel und Jakob sind zwei der sechs Bandmitglieder, die in der Münchener Band „Youth Okay“ spielen. Leonard „Leo“ Schulz, Christoph „Krischtn“ Treuberg , Florian Belkner und Leander Widmoser sind derzeit mit dem Arrangieren von letzten Kleinigkeiten, Entspannen und einer kollektiven Essens-Bestellung beschäftigt. („Leo, wir sind im Bus und geben ein Interview. Wir brauchen nichts. Nö, wir brauchen nichts. Danke. Tschau.“)
Die Kulisse des heutigen Geschehens ist der Tourbus aus München. („Den Backstage hier willst du gar nicht sehen. Wir suchen uns was anderes“) Der Kalender zeigt den 11. Oktober 2019, an dem hier ganz in der Nähe ein Konzert in der Astra Stube Hamburg gegeben werden soll.
„Es ist genau das, was wir wollen“
Erst dieses Jahr aus der Formation „Naked Superhero“ herausgewachsen, erblickte wenige Monate später ein Langspieler mit dem kompakten Titel „Turns“ aus dem Hause Youth Okay das Licht der Welt. Erwartungsvoll blickten viele Fans aus früheren Zeiten auf eine neue Richtung, die sich im Alternative-Rock Brass-FX einordnen lässt. „Turns“ stehe hierbei für „die Dreh- und Wendebewegungen“, die die Band sowohl persönlich, als auch musikalisch durchlebt habe. „Wir haben uns in den Jahren, in denen das Album entstanden ist, sehr stark gewandelt.“ So finden sehr persönliche Themen ihren Platz in einem Gesamtwerk, das verarbeitet, was die sechs Münchener beschäftigt.
Hört man beispielsweise in den letzten Song „Turn Around“ der Platte hinein, wird man direkt empfangen von einem Abschied an die alte Zeit. Aber er ist energisch und hat den Mut, aus der alten Komfortzone herauszuwachsen. „Es ist genau das, was wir wollen“, bestätigt Daniel den neu eingeschlagenen Weg.
Die alte Band aufzulösen und stattdessen von einem anderen Ausgangspunkt etwas komplett Neues aufzubauen, ist ein sich sehr markant äußerndes „Turns“ in der Biographie der jungen Band. „Youth Okay“ hat an der Tür angeklopft und die sechs Musiker haben sich dem genau zum richtigen Zeitpunkt angenommen. Sind dem Schrei nach Veränderung so nachgegangen, wie sie es für richtig hielten. Allen anderen Bands, die an der selben Stelle stehen, gibt Jakob mit: „Einfach trauen. Einfach machen. Nicht zu viel auf die Meinung der anderen hören; wenn es sich für euch richtig anfühlt, dann ist es richtig.“
Der menschliche Faktor
Mehr Worte wollen die beiden nicht mehr über das Vergangene verlieren, sondern mit einem optimistischen Auge in die Zukunft schauen. „Wir weinen da nichts hinterher.“ Jetzt sitzen sie mit ihrem neuen „Baby“ Youth Okay neben mir und schildern leidenschaftlich den Prozess, Trompete und Posaune durch Effektpedale zu jagen und den Sound damit merklich zu beeinflussen.
Auf die Idee gekommen seien sie schon vor längerer Zeit – „Aber das hörte sich scheiße an.“ Der Gedanke verschwand in den Tiefen des Proberaums, bis er dann irgendwann wieder aufgegriffen worden ist. „Wir hatten dann einfach ein größeres Know-How. Es gibt ja durchaus auch den Weg, mit einer Stimme zum Beispiel elektronische Klänge zu machen. Da hat man einfach viel mehr Möglichkeiten. Mit ’nem Blasinstrument muss das genauso gehen, haben wir uns gedacht. Wir sind dann genauso vorgegangen und es funktioniert! Es klingt großartig und man hat wieder diesen menschlichen Faktor, den man eben mit verzerrten Stimmen auch hat.“, berichtet Jakob. Die Freude darüber, dass es so geklappt hat, wie die Band es sich vorgestellt hat, ist nicht zu überhören.
Durch den neuen Bläsersound ist es den Musikern gelungen, in ihren Songs reifer zu klingen als jemals zuvor und die Bläser harmonisch mit dem restlichen, für eine Rockband „typischen“ Instrumentengerüst aus Schlagzeug, Gitarre und Bass verschmelzen zu lassen. Aber trotzdem finden sich in den neuen Songs auch durchaus Passagen, in denen die Bläser noch wirklich als solche erkennbar sind. Harmonisch stimmt es besser denn je. Die Sounds variieren Leo an der Posaune und Christoph an der Trompete individuell durch „Bodentreter“, die ein Programm in dem Mac Mini der Band und den Sound, der das verändert, gleichzeitig ansteuern. Besagter Mac Mini hat schon so einiges mit der Band erlebt: „Als wir den bekommen haben, war im Paket ein Backstein drin, weil wir im Internet verarscht wurden. Deswegen sind wir jedes Mal sehr froh, wenn der Mac Mini mit uns reist und sich nicht auf dem Weg in einen Backstein verwandelt.“, erzählt Jakob grinsend, während Daniel versucht, die Bläsersounds nachzuahmen, die dann letztendlich durch den Mac Mini entstehen.
Aufgegebene Süchte und gemischte Gefühle
Um die lange Strecke von München bis nach Hamburg zu überbrücken, haben die jungen Männer bereits verschiedenste Sachen ausprobiert, stießen aber bei Podcast wie Gemischtes Hack auf „gemischte Gefühle“ und blieben am Ende dann doch bei Hörbüchern hängen. Nach einer sehr lebhaften Debatte über verschiedenste Episodennamen („Der Dampfnudelblus und das Dingsbumskoma“) bleibt der gemeinsame Konsens: die Känguru-Chroniken. „Die haben wir natürlich alle schon durch.“ Also müsse wohl doch Musik oder auch einfach mal Stille hinhalten. Die Pokémon-Sucht, in der die Band zeitweise verfallen war, ist dann wieder ein anderes Thema, über das Jakob keine weiteren Worte verlieren will.
Jung geblieben…
… seien die Münchener nicht nur im Bezug auf diverse Handyspiele, sondern auch musikalisch sowie persönlich. Lässt sich ja auch irgendwie aus dem Bandnamen ableiten.
Natürlich sei die Interpretation des Namens jedem selbst überlassen – für Jakob bedeute der Bandname einfach die Frage, ob es der Jugend gut gehe und ob das System gerade in die richtige Richtung laufe.
Das „Youth“ stehe in Daniels Augen aber auch dafür, dass jeder, der will, jung bleiben könne. „Das ist dafür da, dass Musik jung hält und man eigentlich sein ganzes Leben über jung bleibt. Außer, man lässt es zu, dass man alt wird. Wir bleiben auf jeden Fall jung und laden alle Menschen dazu ein, das auch zu tun. Und das ist halt okay.“ Das bedeute nun im gleichen Atemzug auch, dass die Musiker vorhaben, niemals mit der Musik aufzuhören und auch in Zukunft weiter ihre musikalischen Interpretationen der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Ein Gemeinschaftsding
Jetzt, kurz nach dem Albumrelease, wird erst recht nicht ans Aufhören gedacht. Aber auch nicht ans durchschnaufen – „Wir als Band sind trotzdem irgendwie die ganze Zeit am arbeiten.“ Zuerst habe man für das Album gearbeitet, dann kommen die Tourvorbereitungen und danach die Festivalsaison. Währenddessen laufe das Songwriting für das nächste Album. 2020 berge noch „paar Specials und schöne Sachen“, die Daniel aber nur anteasern mag. Da darf man wohl gespannt sein!
Aber bis dahin freue die Band sich einfach über das, was sie gerade habe; auf die Tour, auf die Städte und insbesondere auf die Menschen. Die auch auf den nächsten Konzerten und Festivals immer willkommen seinen, denn – „Youth Okay ist irgendwie so ein Gemeinschaftsding.“
Inmitten von Songwriting und Konzertvorbereitungen sind Youth Okay keine Band, die sich einfach eine Pause gönnen wollen; viel mehr laufen die ganze Zeit irgendwelche Arbeiten, um das Gesamtergebnis bis auf den letzte Feinschliff so zufriedenstellend wie möglich zu gestalten. „Wir wollen natürlich mehr und weiter nach vorne und in die Zukunft blicken.“
Zwischen nicht vorhandenen „Hach-Momenten“ und einer unbezahlten 60-Stunden-Woche, die die Band nach Jakobs Auffassung für jedes Mitglied füllen könne, (Natürlich sei dann immer noch nicht alles getan) stehe dann aber immer wieder der motivierende Aspekt, ein eigenes Album veröffentlichen zu dürfen. „Das ist unser Ding, unser Baby. Das ist von mir, das habe ich geschaffen. Jedes Teil davon sind wir. Schaut euch an, ich stehe voll dahinter. Ich kann es jeden Tag neu gestalten, neu erfinden. Und das bringt mir persönlich sehr viel.“, resümiert Jakob den Antrieb, Hürden und Grenzen nicht gewinnen zu lassen.
im musikbusiness gibt es keine „hach-Momente“
Und auch wenn jetzt erst einmal das Album herausgebracht worden sei, sehe es mit dem Zeitmanagement nicht besser aus, erzählt Daniel fast schon wehleidig. „Ich verschiebe immer meine ganzen Leute und sage immer, dass ich Zeit habe, wenn das Album draußen ist. Und dann ist mir aufgefallen: Fuck, ich habe erst Zeit, wenn die Tour vorbei ist und dann ist wieder irgendwas.“ Jakob hingegen wünscht sich insgeheim mehr Wertschätzung für die ganze Arbeit, die man als Band tätigen muss. „Viele Leute können gar nicht nachvollziehen, wie viel eigentlich hinter den Kulissen steckt. Heutzutage muss man als Band so viel selbst machen und es ist extrem viel Arbeit.“ Vor allem bei Youth Okay scheinen die Schliffe bis zum eigenen Perfektionismus hin sehr sorgfältig gewählt zu werden, um etwas zu präsentieren, mit dem hinterher alle voll und ganz zufrieden sind. Und ob es jetzt eine neue Platte ist oder „nur“ die Onlinepräsenz mit dem Bandeigenen Instagramaccount ist, der immer mehr an Relevanz gewinnt, hinter allem steckt von vorne bis hinten durchdachte Arbeit.
World on Fire
Dass die digitalen Medien immer weiter in den Vordergrund rücken und das Verhalten der Gesellschaft beeinflussen, ist auch eines der Themen, das in „Turns“ eine wichtige Rolle spielt.
Der Song, in dem die „heuchlerische Mentalität aller Menschen“ am stärksten angeprangert wird, trägt den Titel „World on Fire“. Die Sachen, von denen jeder profitiere, werden als gut empfunden, während der individuelle Verzicht schnell abgetan und missachtet werde. „Ich persönlich liebe diesen Song“, stellt Jakob fest, „Wir kommen aber auch nicht an einem gewissen Grad an Verzicht vorbei. Wenn wir das nicht tun, werden wir das Klima nicht verändern können und das muss sich jeder mal bewusst machen.“
Um als Band selbst die Welt ein Stückchen zu verbessern, verkaufen sie bewusst nur FairTrade Merch, bei dem die Münchener sich sicher sein können, dass die Hersteller auch fair dafür gezahlt werden. Dass das natürlich noch Konsum sei, ist der Band dabei völlig bewusst – „Aber es ist besser, so ein Shirt zu kaufen, als eines, das in der Fabrik nebenan hergestellt wird, wo die Leute nicht so gut bezahlt werden und vielleicht in irgendwelchen Chemikalien stehen müssen.“ Die Zusammenarbeit mit der Druckerei, die für den Merchandise verantwortlich ist, kam über das Label und Verlag „Munich Warehouse“, von dem die Münchner inzwischen auch Teil sind und dort auch ihren Online-Shop eingerichtet haben.
For a Moment
Über Munich Warehouse wurde auch das Album am 04. Oktober 2019 releast, das besonders Daniel dabei geholfen habe, das Geschehene zu verarbeiten. Aber auch von allen anderen Bandmitgliedern stecken Einflüsse in der elf Songs starken Platte, es gehe also besonders um das „Turns“, das die Band zusammen und individuell erlebt habe. Lyrisch betrachtet sticht besonders der Song „For A Moment“ heraus, der sehr persönlich gehalten ist. Die geschilderten Erlebnisse finden sich auch in dem dazu erschienenen Musikvideo wieder, in dem Erinnerungen an Daniels an Depressionen verstorbene Mutter in Form von alten Bildern die emotionale Stimmung dominieren. Das Öffnen der eigenen Seele zur Öffentlichkeit sei für ihn persönlich aber eher hilfreich als schwierig. „Es erfordert natürlich sehr viel Mut. Aber es ist das einzig Richtige, meiner Meinung nach.“
„Unser Album ist ein Get Up“
Den roten Faden durch das Album zieht eine unermessliche, laute Stärke, die den Hörer in ihren Bann zieht und das Gefühl hinterlässt, es der Stimmung gleich zu tun und laut zu werden. Aber wofür soll man denn laut werden?
Einerseits ist das laut werden für Daniel wichtig im Umgang mit einer Person mit Depressionen. „Es ist gut, wenn man laut wird. Das heißt nicht zwingend, dass man schreien muss, oder sich mit der Person streiten muss. Sondern dass man laut ist, indem man auf die Person zugeht. Der laute Moment, wenn man die Person nicht mehr leise für sich alleine sein lässt.“ Aber auch aus der Sicht eines Depressiven sei es vielleicht wichtig, sich laut zu machen und von der Last zu befreien, die einen gefangen hält. „Obwohl sie nach außen vielleicht oft so resigniert und traurig wirken, herrscht hinter der Fassade eine extreme Wut, eine extreme Energie, die von der Resignation heruntergespült wird.“, ergänzt Jakob, da sei es sehr befreiend, das herausschreien zu können.
Laut werden Youth Okay aber auch andererseits in Songs wie „Get Up“, der dazu animieren soll, auf die Straße zu gehen und gegen das, was gerade schief laufe, zu demonstrieren. „An sich ist unser Album ein „Get Up“. Macht etwas, tut etwas. Es hilft immer, etwas zu tun und es nicht einfach so zu lassen, wie es ist.“ Außer natürlich, wenn es gut sei, wie es ist, resümiert Daniel.
What’s It All About?
Ein kleiner Aufhänger, der sich immer wieder im Album finden lässt, sind die unzähligen Fragen, die immer wieder gestellt werden. Auch wenn es oftmals Fragen sind, auf die sich keine oder nur schwer eine Antwort finden lässt. So stelle er sich in „What’s It All About“ die Frage, worum es ihm in seinem Leben gehe und was ihm wichtig sei.
Viele Fragen betreffen die Band selbst: „Wir arbeiten alle sehr viel; wir haben einen zweiten Job, aber der nimmt einen sehr kleinen Teil in der Woche ein. Den Rest der Zeit legen wir sehr viel Wert auf unser Projekt mit dieser Band. Wenn man dann seine Freunde sieht, die in irgendwelchen High Class Positionen Personalleitung oder sonst was sind, oder verheiratet sind und zwei Kinder haben. Da stellt man sich natürlich die Frage: „Ist das, was ich gerade mache, ist das richtig?““. In „Static Air“ geht das Fragen weiter mit dem Gedanken, ob man etwas besser machen könne, oder ob man vielleicht sogar damit aufhören solle.
Mache dein eigenes „Turns“!
Zurück zum Albumtitel seien die Fragen dann vielleicht aber auch das „Turns“, das einen vielleicht zu etwas anderem bewegt – wer weiß, vielleicht sogar zu einem „Get Up“? Es ist wahrlich faszinierend, wie stark das Album ineinander verstrickt worden ist, jeder Song einem „Turns“ zugeordnet werden kann und auf weitere, tiefer gehende Fragen hinleitet.
Rückblickend lässt sich nun also sagen, dass das Album mit der Message gefüttert ist, etwas zu verändern. Dass es nicht darum geht, ständig einzuknicken und die alten Gewohnheiten beizubehalten, sondern viel mehr darum, sich aus dieser bequemen Hülle herauszutrauen und etwas zu verändern. Auch die kleinen Schritte machen hierbei einen Unterschied – sei es beim Umgang mit Freunden, beim Umgang mit den gesellschaftspolitischen Themen, die für Aufruhr sorgen oder beim Umgang mit dem eigenen Leben. Und sobald etwas auffällt, was änderbar ist – traue dich, „Get Up“ und mache ein „Turns“!
Nach gut einer halben Stunde im Interview sind die beiden jungen Männer neben mir dann aber auch leer gefragt, mein Kopf mit neuen Gedanken und Inspirationen vollgesaugt und so langsam wird es Zeit, sich auf das Konzert heute Abend einzustellen. Auf das sich die beiden schon freuen, aber andererseits auch erschöpft sind von dem Rein- und Rausladen in „den kleinen Laden“. Aber von der Stimmung erhoffen sich die beiden, dass sie gut wird. Kein Wunder, denn beide sind kleine Hamburg-Fans. Jakob ist des öfteren sogar „in Zivil“ in der Hafenstadt unterwegs – „Dann hat er seinen Bart nicht an“. Doch das ist eine andere Geschichte…
Wie gut die Stimmung tatsächlich war, lässt sich schwer nachempfinden. Ich muss dabei an sich drehende Musiker, eine ineinander zerfließende Menge und den Typen, der verzweifelt zu jedem Song einen Moshpit anzetteln wollte denken – aber das könnt ihr noch genauer hier nachlesen.