Waghalsige Träume und vertrocknete Blumen

Was passiert, wenn man all sein Equipment und einen Haufen Ideen in ein Auto schmeißt und zusammen nach Italien aufbricht? „A Story For Reflection“ haben es ausprobiert und sich dabei in den Ort Caprino Veronese verguckt, nach dem sie schließlich auch die EP benannt haben. Das eigentliche Ziel war ein Album – doch lieber eine ausgearbeitete EP als einen halbherzig aufgenommen Langspieler, oder? Gute Dinge brauchen eben Zeit und genauso ist es wohl auch mit „Caprino“. Das viel mehr liefert, als nur sechs Songs – so finden sich durchdachte Melodien, facettenreiche Sounds und immer wieder neue, überraschende Elemente auf der Debüt-EP wieder. Dabei bleibt der Sound nicht im selben Genre stecken, sondern entfaltet sich mit der Zeit von melancholischen Fernwehklängen bis zu forschem Indie-Rock.

Hinter den ganzen Ideen und vielseitigen Instrumenten stecken vier Musiker vom Ammersee – das wären Sänger und Gitarrist Jakob Muehleisen, der zudem mit seinem Soloprojekt überzeugt, Keyboarder Maxi Aldinger, Veit Kobler am Bass und hinter dem Schlagzeug Anton Engelmann.

Die EP beginnt mit dem Song „Will You Know?“ und reflektiert genau diese Frage. Es geht um eine gescheiterte Beziehung – und darum, dass die Liebe nicht einfach so verschwindet. Die in dem Song beschriebene fiktive Person hat nie aufgehört, zu lieben und denkt auch nicht, dass sich das in Zukunft ändern wird. Die Augen des Ex-Partners leuchten heller, als es sämtliche Lichterketten der Welt je könnten und der Erzähler versucht seine Hand auszustrecken in die Richtung von gelebten Träumen und nach dem Gefühl, aufrichtige Liebe erwidert zu bekommen. Sehnt sich nach Schmetterlingen im Bauch und Lachfalten im Gesicht, zärtlichen Blicken und verspielten Momenten. Nach Zweisamkeit auf kleinen Ziegelsteinmauern und in weichen Bettdecken.

Doch dabei bleibt es in dem Song nicht – Fehler werden eingestanden, die schlechten Seiten beleuchtet und sich insgeheim einfach nur ein Neuanfang gewünscht. Ob und wie dieser Neuanfang geschehen oder ob der sehnsuchtsvolle Wunsch in unerfüllten Träumen untergehen wird, bleibt offen.

„I never meant to break your heart, but I did.“

Dabei wird der schonungslos ehrliche und selbstreflektierende Text begleitet von einem sich langsam aufbauenden Melodiekonstrukt. Anfangs noch wie gemacht für Abende am Lagerfeuer mit einer Gitarre im Schoß und der untergehenden Sonne im Hintergrund, wird der Song schnell fordernder und binnen Minuten zu einem komplexen Gerüst zusammengebaut aus den verschiedensten Tonspuren und Instrumenten. Die zurückhaltenden Melodien und die harmonischen Akkorde laden zum Träumen ein, fühlen sich an wie die warme Sonne auf kalter Haut und prickeln im Bauch. Nach einem kleinen Instrumentalpart rückt das Schlagzeug immer weiter in den Vordergrund, bis es zusammen mit den anderen Instrumenten in einem lauten Klangteppich explodiert. Die Stimme von Sänger und Gitarrist Jakob Muehleisen legt sich rau über das Gefühlschaos.

„Will You Know“ liefert einen ersten Vorgeschmack auf die zwanzig minütige Reise, auf die „Caprino“ nehmen will. Das schwerelose Ende des Tracks geht über in den Song „Bear & Hunter“, der insgesamt ruhiger und zurückgezogener wirkt. Der an Tage erinnert, an denen bunte Blätter bedacht auf den Boden fallen und sich das Wasser immer langsamer kräuselt. An denen es gerade noch warm genug ist, auf der Fensterbank zu sitzen und die Gedanken weit weg fliegen zu lassen. Auf Peter Pan wartend, der die ganze Welt wieder bunt machen soll und an Tage, an denen die Tasse Holunder-Kirsch-Tee in den Händen immer kälter wird, während die Welt langsam wieder hell erstrahlt.

„Bear & Hunter“ stammt noch aus der Zeit, als nur Maxi und Jakob in der Band waren und diente damals viel mehr als ein Experiment, als erster Song, der von Anfang bis Ende im Studio geschrieben und aufgenommen wurde.

„Wenn uns was Neues eingefallen ist, haben wir es direkt aufgenommen und dabei die vielen Möglichkeiten durch Midi und Samples etc. genutzt, wodurch dann insgesamt circa 130 Spuren entstanden sind.“

Auf der EP ist der Song letztendlich mit 134 Spuren zu hören, mit sanften Backgroundgesängen, verträumten Melodien auf der E-Gitarre und Akkorden, die an fallende Wassertropfen erinnern. Es bleibt viel Platz für Instrumentals und die Zeile „Set me free“, die sich in dem Songkonstrukt einnistet und Wärme hinterlässt. Erinnert an grenzenlose Weiten, erzählt ohne viel sagen zu wollen ausdrucksstarke Geschichten. Malt Bilder von nicht enden wollenden Landschaften und sehnsuchtsvollen Wünschen.

„Wake me up in summer, says the Bear to the Hunter“

Anders als die letzen beiden Songs startet „Call Me“ mit einem Schlagzeugpattern. Schnell wird der Hörer mitgerissen in eine diesmal euphorische Gefühlswelt, die eine glückliche Beziehung darstellt. Sonnendurchtränkte Gedanken, nach Abenteuer riechende Erinnerungen und die Gewissheit, noch ewig Zeit zusammen zu haben. Alles andere wird nebensächlich, wenn der Partner für einen da ist. Ganz nach dem Motto: „Ey, wenn was ist, dann ruf‘ halt an.“ A Story For Reflection spielen dazu passend mit einprägsamen, einfachen Melodien, Telefonklingeln und verzerrten Gesprächsfetzen auf dem Anrufbeantworter. Besonders markant kommt hier die stetige Bassline hervor, während sich die Synthesizer facettenreich auf den Klangteppich legen.

„Wichtig war uns, auch diese positive Stimmung, den Optimismus und die „Bewegung nach Vorne“ rüberzubringen.“

Der Melodieverlauf durchzieht zusammen mit dem Rhythmus den ganzen Song, sorgt für Beständigkeit und hinterlässt den Eindruck, den Song nach dem ersten Mal Hören schon in und auswendig zu kennen. Mit seinen ganzen Sommeremotionen, dem Gefühl vom Fahrtwind im zerzausten Haar und den vertrauten Klängen. Vielleicht ist es genau das, was „A Story For Reflection“ vermitteln wollen: Das Leben ist noch lang und zu schade um in der Vergangenheit stecken zu bleiben. Zusammen ist man stärker als all die Hürden, die sich in den Weg schleichen. Mit grinsenden Backen lässt es sich einfacher leben, als wäre alles immer noch genauso schwerelos wie damals, als der Fussel an dem Faschingkostüm die größte Sorge war.

Um wirklich große Sorgen geht es in „Trust“, der am 24. April noch als Single veröffentlicht wurde – im Gepäck eine „Caprino Version“, die neu von der Band gemixt worden ist.

In dem Song geht es darum, dass zu viele Gedanken und stetiges Kopfzerbrechen schließlich ungewollt für den Verlust einer Person sorgen. Weil man eben einmal zu viel nachgedacht hat, einmal zu viel alles noch einmal über den Haufen geworfen hat, einmal mehr nicht vertraut hat.

„Textlich ist es auf jeden Fall der ehrlichste Song der Band und geht darum, dass man zu viel nachdenkt und dabei alle Zeichen übersieht und somit die Person, die man eigentlich liebt, verliert.“

Weil es dann doch schwieriger ist, in den Moment hineinzuleben. Und je mehr man sich dann in der Vergangenheit in Sorge über die Zukunft verstrickt, desto mehr entfernt man sich von der Realität – und vergisst das Wesentliche. Vergisst all das, was eigentlich zählt. Kommt nicht mehr weg von den kleinen Details, von den kleinen, verletzenden Gesten, ohne dabei zu realisieren, worum es gerade überhaupt geht.

Mit dem Song kreiert die Band die indirekte Aufforderung, sich auch einfach mal fallen zu lassen. Ehrlich zu sein – und vor allem zu vertrauen. Vertrauen in den Moment, in die Irrationalität und Diversität der Handlungen. Weil es menschlich ist, Fehler zu machen. „Trust“ verleiht dann neben den niedergeschlagenen Zeilen mit euphorischen Bläsern und den vollen Melodien auch wieder Mut, sich aus dem ewigen Teufelskreis der eigenen Gedanken zu befreien und einfach mal zu machen.

Die „Caprino Version“ der neuen Single klingt anders als diejenige, die es auf die EP geschafft hat, wesentlich zurückhaltender und melancholischer. Das dahintersteckende Gefühl spürt man schon in den ersten Tönen, nimmt die vertrockneten Blumen und die schmerzende Sehnsucht zwischen den Zeilen intensiver war – sie wirkt eben „mehr so, wie wir sie in Caprino aufgenommen haben“, um es in Maxis Worten zu sagen.

Zwischen der Melancholie und Einsamkeit steht der euphorische Song „Mr. Fantasy“, der in seinem glitzernden Gewand mit träumenden Refrains überzeugt. Mehr dazu kann hier nachgelesen werden.

Mit „Horror“ endet die kleine Reise und findet in dem Song einen melancholischen Abschluss. Die Gitarrenakkorde klingen unverfälscht und überraschend ehrlich, ohne darauf getrimmt zu sein, sich perfekt für mögliche Radioeinspiele zu eignen. Ehrlichkeit ist eine Sache, die ich besonders an der EP lieben gelernt habe – die Geschichten klingen direkt aus der Gefühlswelt gerissen und die Songs so lebendig gemixt, wie sie auch im Proberaum klingen würden. Dieser Eindruck wird noch durch das leichte Grillenzirpen im Hintergrund verstärkt, welches sich mit den fröhlich zwitschernden Vögeln vor meinem Fenster mischt. Der Himmel ist wolkenverhangen; eine Trennung naht, die schwierige Entscheidungen mit sich bringt.

Man grübelt über das Ende einer unverhofft schönen Romanze, während sich eine leidenschaftliche Klaviermelodie in die Gedanken mischt. Die dem Song dabei einen verspielten Einfluss verleiht und die EP mit einem neuen Element erfrischend abrundet. Nach sanft angespielten Akkorden und prägenden Synthesizern lösen die bedacht ausgewählten Noten Leichtigkeit und viel mehr auch Freiheit aus. Ein Song, der wie gemacht dazu ist, auch mal nostalgisch im Gras zu liegen und in verblassenden Erinnerungen zu schwelgen. Neben einem aufgeschlagenen Buch liegen offene Textmarker und rotweingetränkte Träume. Die Baumkronen rauschen ruhig, lassen sich alle Zeit der Welt und winken mit ihren einzelnen Blättern, verkünden spannende Abenteuer versteckt hinter sperrigen Ästen und dunklen Abgründen, als das Grillenzirpen immer leiser wird.

„The summer left me speechless and now, I’m alone.“

Beitragsbilder: (c) A Story For Reflection