Drahtseiltanz zwischen eingängig und schwermütig

Ich geb’s ja auch nur ungern zu, aber nach „Wildberry Lillet“ hatte ich erstmal genug von Nina Chuba. Auf den ersten Partys brachte der Track noch zum Grinsen, aber nach jubelndem Anstoßen auf die fünfte Rotation des Abends schloss ich für mich mit dem Song ab. Und war damit nicht alleine – der Sommerhit schlechthin löste in seinem Hoch in meinem Umfeld nur noch Augenrollen aus. Nur blieb es nicht dabei. Am 24. Februar veröffentlichte Nina Chuba mit „Glas“ nach zwei EPs ihr Debütalbum.

Schnell verzierte ich es mit grünen Pfeilen, spielte es immer wieder an und versuchte, das Album abseits von „Wildberry Lillet“ zu betrachten. Oder vielleicht auch gerade mit dem Hit-Song im Hintergrund – denn die Platte ist keineswegs ein Abklatsch des großen Erfolgs. Es geht nicht immer um Immos, Dollars und ums fliegen wie bei Marvel. Der Ruf „One-Hit-Wonder“ wird ihr jedenfalls keineswegs gerecht. Nina Chuba ist mehr als das. Und inzwischen gar nicht mehr aus der Musikszene wegzudenken – in wenigen Tagen beginnt ihre mehrfach hochverlegte und inzwischen restlos ausverkaufte Hallentour im Pier 2 in Bremen. Unweigerlich fand ich mich daher im Bericht über ihr Konzert in Oldenburgs gemütlichster „umBAUbar“ vor fast ’nem Jahr wieder. Funfact: ins Pier 2 passen an die 3.000 Menschen, in die umBAUbar schätzungsweise gequetsche 100. Nach dem Konzert hörte ich ihre Musik wochenlang rauf und runter, versank in Tracks wie „Power“ und verliebte mich in „Babylon Fall“. Und heute fallen mir Parallelen auf. So reflektierte sie damals schon in „Who hurt you“ Hate-Kommentare und den Grund dahinter.

„Die Gesellschaft ist zu verkopft, die Themen zu vorhersehbar, aber wirklicher Wert ist kaum noch zu finden. Scharfe Gesellschaftskritik, die sich aber auch in mehreren Songs wiederfindet – „Who hurt you“ wohl das eindrucksvollste Beispiel. Der Song ist aus der Wut über den Hate-Kommentar „you’re an industry whore“ entstanden, wechselt von Anklage zu Mitleid und zeigt einmal mehr ihre Reflektiertheit, als sie sich selber wenige Zeilen später auch noch angreift und dem Kommentar in gewisser Weise auch zustimmt. Egal, wie oft sie das Business als oberflächlich abstempeln wird – letztendlich profitiert auch sie davon.“

– Konzertbericht von Gedankengroove zu Nina Chuba in Oldenburg

Letzens las ich im Diffus Magazin einen ähnlichen Artikel über den Hate gegen Nina Chuba. Dort heißt es unter anderem:

„Scheint so, als wäre vielen der rasante Aufstieg einer jungen Frau mit kreativer Vision gar nicht so recht. Denn: Gibt es nicht eigentlich sehr viele Künstler:innen, die sich anhand von Statussymbolen feiern, mit einem großen Kreativteam im Rücken arbeiten und ihre Texte nicht ausschließlich selbst verfassen? Die einfache Antwort auf diese Frage: Ja. Der wütende Hass gegen Nina Chuba ist also nicht nur ungerecht, sondern auch absolut grundlos.“

Artikel im Diffus Magazin: „Wildberry Lillet“ mit Nachgeschmack: Warum der Hass gegen Nina Chuba ungerechtfertigt ist

Wenn wir also mal das Augenrollen bei „Wildberry Lillet“ sein lassen und stattdessen mit offenen Augen ihrer Platte lauschen, bleibt die Essenz: Nina Chuba ist eine der talentiertesten deutschen Newcomer-Künstlerinnen. Das Album spiegelt die verschiedensten Facetten wider – vom Anstoßen aufs Leben über Selbstzweifel und Reflexion der eigenen Ängste findet sich ein lebhafter Prozess, der mit seinem Flow zum Tanzen animiert. Ihre Stimme fliegt mal hauchzart, mal selbstsicher über die Dancehall-Beats.

Nina Chuba tanzt über das Drahtseil zwischen eingängig und schwermütig, balanciert zwischen Kapitalismuskritik in „Ich hass dich“ und grenzenlosen Konsum in „Wildberry Lillet“. „Genau diese beiden Seiten von mir, das Glückliche und das Melancholische, bringen das Album perfekt auf den Punkt“, so Nina Chuba. Vereinen lassen sich diese Gegensätze mit dem Gefühl von Nahbarkeit, das sie sowohl auf TikTok als auch in ihren Songs immer wieder aufblitzen lässt. Lebendige Bilder ermöglichen einen Blick in ihre Gefühlswelt, der Wechsel von Englisch auf Deutsch schafft noch mehr Identifikation. In der umBAUbar gab sie zu, dass es ihr immer noch schwerfalle, auf Deutsch zu texten.

„Die Wörter bekommen mehr Wert, werden gegeneinander aufgewogen und letztendlich zeige sie sich so auch verletzlicher. Was besonders deutlich wird, als sie sich zu dem noch unveröffentlichten Song „Glas“ ans Klavier setzt. Die hochgekochte Stimmung friert für einige Minuten ein, das Bier in der Hand wird ersetzt durch funkelnde Taschenlampen. „Wir sind zu zweit, aber ich bin allein / Und ich frag mich so oft, ob du überhaupt willst, dass ich bleib“. Ihre samtig-sanfte Stimme verleiht auch diesem Song sein ganz besonderes Timbre, wird überzogen mit der Gänsehaut, die sie zwischen Pop, Rap und Soul immer wieder hervorrufen kann.“

Die Hallentour 2023 ist zwar schon restlos ausverkauft, Tickets gibt es aber noch für die „GLAS TOUR 2024“.

27.04.24 Bremen, Pier 2
28.04.24 Oberhausen, Turbinenhalle
30.04.24 Köln, Palladium
01.05.24 Saarbrücken, E-Werk
02.05.24 Nürnberg, KIA Metropol Arena
04.05.24 Zürich, The HALL
06.05.24 Stuttgart, Porsche Arena
07.05.24 München, Zenith
08.05.24 Wien, Gasometer
10.05.24 Frankfurt a.M., Jahrhunderthalle
11.05.24 Hannover, Swiss Life Hall
14.05.24 Leipzig, Haus Auensee
15.05.24 Hamburg, Sporthalle
17.05.24 Berlin, Max-Schmeling-Halle